Sensenmann-die-zweite

Ha! Er hat mich wieder nicht gekriegt!
Ich liege nachmittags in der Krankengymnastik auf der Liege und will lernen, mich umzudrehen. Das ist gar nicht so einfach. Der Oberkörper kommt herum, bloß die Beine, die bleiben liegen, wie angeklebt. Ich greife um die Liegenkante herum, will gerade ziehen.
“Heh, nicht mogeln, das muß auch so gehen.” Die Therapeutin rückt ihre Brille zurecht. Abgefahrenes Teil übrigens, die Brille. Die verleiht ihrem Gesicht etwas Freches. Passt aber.
Heh, nicht ablenken lassen, sonst gibt’s Mecker.
“Los, gleich noch mal. Und jetzt ohne Festhalten:”
Sklaventreiber!!! Na gut, sonst gibt sie ja doch keine Ruhe. Wieso fahre ich eigentlich so Karussell? Und eine Kälte ist das hier?
“Sagen Sie mal, ist Ihnen kalt?”
Kalt? Auf einmal klappern meine Zähne los, wie eine Uzi, könnt auch ne Heckler und Koch sein. Jedenfalls rattert mein Unterkiefer, daß ich Angst um meine Zähne bekomme. Saukalt, ist die Heizung kaputt?
In Rekordzeit bin ich wieder auf meinem Zimmer. Fieber gegen 40°, Tendenz steigend.
Was ist das denn jetzt schon wieder? Die Stationsärztin hat auch schon entspannter geguckt. Ich bekomme eine Infusion angehängt, die Beine werden abgedeckt, damit sie kühl werden. Ich bin klitschnass, schlafe irgendwann ein.

Am nächsten Morgen ist alles OK. Ich bin ein bisschen schlapp, aber fieberfrei. Keine Ahnung, was das war.

Am Nachmittag dasselbe Spiel. Plötzlich rattern meine Zähne los, als würden sie dafür bezahlt. Das Ganze geht über eine Woche. Die Ärzte lassen die volle Diagnostik auf mich los - nichts. Die Pflege plündert die Eismaschine auf der Privatstation.
Ihr könnt mich doch nicht ...
Sie konnten. Das Fieber mußte runter.

 

Diese Fieberschübe kosten ungemein Kraft. Irgendwann, ich habe jedes Zeitgefühl verloren, weiß ich, daß ich es nicht mehr lange aushalte. Langsam geht meine Kraft zu Ende. Ich werde immer ruhiger. Soll es das jetzt gewesen sein? Schade, aber irgendwann bist Du einfach dran. Ich war bereit, loszulassen.
“So, dann fahren wir nochmal zu einem Test!”
Ach Leute, laßt es gut sein, ich hab keine Kraft mehr!

Der Röntgenologe erklärte mir irgendwas über ein Hämatom unter meiner Lunge, da wolle er mit Ultraschall...
Halt, was ist das denn? Ob es der Doc zuerst sah, oder ich - egal, da war eine scharfe Kante. Bei näherem Hinsehen sah es aus, als ob da etwas in der Nierengegend stecken würde.
Eine Viertelstunde später war ich in der Urologie und lag wieder neben einem Ultraschallgerät. “Sehen Sie mal.” Der Urologe war ganz begeistert. “Da ist ein wunderschöner Stein in Ihrem Harnleiter.” Ganz Toll, wunderschön! denke ich. Heraus kommt: “Hä?” “Ja, das ist die Leitung von der rechten Niere in die Blase. Wenn die verstopft ist, dann gibt es einen Rückstau in die Niere und das ist gar nicht gesund”

Noch in der selben Stunde war ich unterwegs in eine urologische Spezialklinik. Dort wurde ich noch ein paarmal durchleuchtet, mit und ohne Kontrastmittel. Ich hörte, daß man die Anästhesistin noch im Auto auf dem Nachhauseweg erwischt habe und sie würde herumdrehen.
Irgendwie bekam ich das alles nicht mehr so richtig mit. Ich wollte eigentlich nur noch meine Ruhe haben.
“Unterschreiben Sie hier bitte mal”, “Vertragen Sie irgenwelche Medikamente nicht”?
Ach, Leute was soll denn die ganze Hektik?
Spritze - Licht aus!
“Hallo, können Sie mich hören?”
Ein deja vú! Oder eine Zeitschleife?

Mühsam öffnete ich ein Auge. Nein, der Raum sah anders aus. Und, wo ist der Stein?
Man hatte keinen Stein gefunden. Sicherheitshalber wurde ein Stent in den Harnleiter eingesetzt, damit alles wieder abfließen kann. Man habe aber noch rechtzeitig reagiert, bis zu einer ernsten Situation wäre locker noch ein Tag Zeit gewesen.
Ernste Situation, soso. Klappe zu, Affe tot - oder was. Was soll’ s wir haben es ja noch mal geschafft.
Stent? Guckst Du da: http://de.wikipedia.org/wiki/Stent
Eine Woche später war das Fieber weg und ich konnte wieder in meine Querschnittsklinik zurück.

Ein paar Wochen gingen ins Land. Der Stent sollte wieder raus. Ambulant. Diesmal kam ich mit meinem Rollstuhl hinten in einen Transporter hinein. Der Rollstuhl wurde verzurrt und los ging es. Meine letzten verbliebenen Bandscheiben sangen auf dieser Fahrt den Schlagloch-Kanon. Ich glaube, der Fahrer wurde nicht nach Kilometern, sondern pro getroffenes Schlagloch bezahlt.

Ich also wieder rein in den OP. “Sagen Sie mal, wie ist denn Ihre Lähmungshöhe? Spüren Sie denn in dem Bereich überhaupt etwas?”
Fazit: Stent wird ohne Betäubung gezogen - Durch die Harnröhre!

Mittags war das Fieber wieder da.

Ich wurde für den nächsten Morgen als erster auf den OP-Plan gesetzt.
Spritze - Licht aus.
“Hallo, können Sie mich hören?”
Hmmm!
Jetzt will ich aber den Stein sehen!
Betretene Mienen. Man hat den Stein wieder nicht gefunden und erst einmal wieder einen neuen Stent gesetzt, um risikoärmer weitersuchen zu können.
Ach, deswegen saß da ein Hund vor dem OP und hat auf einen weißen Stock aufgepaßt.
Jetzt war aber Gesprächsbedarf mit der Klinikleitung. Also, ich hielt mich ja bis dahin für einen Spezialisten im Fehler weg erklären. Aber der Oberarzt, der war richtig gut! Ein Rhetoriker der Leistungsklasse.
Ein kleiner Plausch mit dem Chefarzt brachte mich wieder auf den OP-Plan.

Spritze - Licht aus.
“Hallo, können Sie mich hören?”
WO IST DER STEIN?
Zertrümmert und herausgeholt. Vom Oberarzt selbst. Er bestand wohl aus einem Material, das kein Röntgenecho wirft.
Also der Stein, nicht der Oberarzt.
Sachen gibts.

Einige Wochen später wurde der Stent, den man zur Sicherheit noch drin gelassen hatte problemlos entfernt.

“Oh, darf ich den als Andenken behalten?”
“Der ist so septisch, den können wir Ihnen nicht mitgeben, aber ansehen können Sie ihn schon.”
Nicht gut! Gar nicht gut! Leute guckt Euch das Ding nicht an, wenn ihr mal sowas habt!!!
Ich dachte immer, das sind so fragile Netzkonstruktionen. Das haben die sich doch bestimmt von der Berufsfeuerwehr ausgeliehen. Bloß, um mich zu erschrecken! Das Ding ist mir durch meine Harnröhre und meine Blase in den Harnleiter eingesetzt worden?
Und ohne Narkose wieder heraus geholt?

Nein, ich möchte gar nicht wissen, wie. Es gibt Dinge, die muß man nicht wissen.
Und braucht sie sich auch gar nicht vorstellen...