Abführen!

„Sagen Sie mal, würde es Sie stören, von einer Frau gewaschen zu werden?“
„Kein Thema, Hauptsache, ich bin sauber“.
Moment mal, plötzlich ging mir der Sinn hinter dieser harmlosen Frage auf. Ich war keine Nummer mehr, nicht mehr der Querschnitt auf Zimmer 17. Ich war wieder ein Stück mehr Mensch. Ein Mensch mit Gefühlen, mit Interessen, mit Präferenzen und Abneigungen. Es könnte ja sein, dass ich aus ethischen, moralischen oder anderen Gründen mich nicht unbekleidet vor einer Frau zeigen möchte, die nicht meine Ehefrau oder meine Mutter ist. Auf der Intensiven kann man so etwas nicht berücksichtigen, deren Aufgabe ist es, das reine Überleben zu sichern. Aber hier… Und noch etwas fiel mir auf. Alle redeten sich mit dem Vornamen an. Ich war der einzige, der gesiezt wurde. Aber wenn Dir jeden Tag jemand den Finger hinten rein steckt und dabei im schönsten Plauderton sich mit Dir unterhält, da fällt es schwer, eine gewisse Distanz zu wahren. Wie, Finger hinten rein?


Ich habe lange überlegt, ob ich über das Thema schreiben sollte, aber es gehört einfach einmal dazu und ist ein Teil meines neuen Lebens. Ich spreche von dem Toilettengang. Also, wer hierüber nichts Lesen möchte, kann das Kapitel gerne überspringen. Für Rollstuhlfahrer ist es überlebenswichtig und ohne jede Peinlichkeit.
 
Tja ein Fußgänger geht einfach zur Toilette, ein Vorgang, den man als Baby gelernt hat und über den sich kein Mensch mehr Gedanken macht. In meinem alten Leben habe ich mir meine Zigaretten geschnappt, etwas zu lesen und bin für eine gute halbe Stunde im Bad verschwunden. Herrlich, kein Telefon, keiner will etwas. Für mich war das die tägliche Erholung.

Aber was macht man, wenn Blase und Darm gelähmt sind? In der Blase steckte mir bis dato ein Bauchdeckenkatheder. Durch die Bauchdecke wird ein Katheder in die Blase geschoben. Ein Ende eines Schlauchs ist an diesem Katheder befestigt, das andere Ende steckt in einem Beutel, der am Bein befestigt ist. Dieser Beutel wird regelmäßig geleert – fertig. Dumm dabei ist nur, dass bei diesem System die Blase nie ganz leer wird. Der ganze Dreck, der normalerweise mit ausgeschieden wird, bleibt in der Blase und kann ziemlich üble Krankheiten verursachen.

Als der Bauchdeckenkatheder verstopfte, machen die gerne mal, bekam ich einen Dauerkatheder in die Harnröhre eingesetzt.

Jetzt wurde zwar die Blase komplett geleert, dafür war aber eine ständige Verbindung nach draußen offen, eine echte 4-spurige Autobahn für Keime. Voll beleuchtet und ausgeschildert, gewissermaßen.

Beim intermittierenden Kathederisieren, wir sagen einfach Kathedern dazu, lernt man, sich mehrmals täglich selbst einen Katheder durch die Harnröhre in die Blase zu schieben. Pieseln für Rollstuhlfahrer!

Das ‚große Geschäft’ ist deutlich undramatischer. Da gibt es ebenfalls verschiedene Lösungen. Je nachdem, wie beweglich man noch ist, geht das mit oder ohne Hilfe ab. Die Standardlösung wird als digitales Abführen bezeichnet. Hat nix mit Computerei zu tun. Das kommt von lateinisch Digitus, der Finger. Ich bin jetzt nicht mehr so beweglich, bei mir kommt täglich jemand und holt mit den Fingern die ganze Geschichte raus. Damit hatte ich die größten Gewöhnungsprobleme!