Paaadie

Eine ganz liebe Freundin hat runden Geburtstag und feiert groß. Wir sind eingeladen. Nur sie und ihr Mann wissen, daß ich auch komme. Viele von unseren Freunden und Bekannten werden da sein. Inzwischen wissen wir, daß das Ganze im Gemeindezentrum am Marktplatz stattfindet. Im ersten Stock. Und das Haus hat noch eine schöne Außentreppe. Ein wahres Fußgängerparadies!

Zum Glück haben wir das Treppensteiggerät. Furchtbares Wort. Ab sofort heißt das Ding der Steiger. Zur Sicherheit wollen wir in unserem Treppenhaus noch ein wenig üben...

Meine liebste Rollstuhlschieberin hakt mich an den Steiger an. Fährt zur Treppe. Normalerweise sollten jetzt da unten zwei kleine Räder rauskommen, die die Treppenkante ‘erfühlen’.
Klick - Keine Räder - Hmmm, da stimmt was nicht.
Das ist der Tropfen, der das Faß zum überlaufen bringt. Die ganzen Monate mußte meine Frau stark sein, die Managerin, die alles im Griff hat. Die locker Doppelschicht fährt, weil mein Krankengeld mal wieder vorne und hinten nicht reicht. Die Umzugsplanerin, Renoviererin. Haus beim Auszug, Wohnung beim Einzug. Küchenplanerin, nach wie vor noch Hausfrau und Mutter. Ich kann gar nicht alles aufzählen, was sie in den vergangenen Monaten so alles gestemmt hat, unglaublich!
Jetzt bin ich zu Hause, jetzt darf sie endlich auch mal einen schwachen Moment haben.

Unser Sohn reagiert phänomenal. Sanft nimmt er seine Mutter am Arm. “Darf ich das auch mal probieren?”
Er bekommt es auch nicht auf Anhieb hin.
“Das machen wir anders. Wir schmeißen de Vatta ins Bett und probieren das erstmal so.”

Gesagt, getan, ich nehme erst mal eine Auszeit, und die Kinder machen eine Trockenübung. Der Freund meiner Tochter muß als Crashtest-Dummy herhalten.
Die allerbeste Frau von allen pflanzt sich neben mich. Jetzt kann ich sie endlich in den Arm nehmen, trösten. Im Rollstuhl ist das nicht so einfach. 


Zu fünft haben wir uns in das Auto meiner Frau gezwängt. Den Spitznamen “Huschdegudsl” , Hustenbonbon, trägt das betagte Gefährt nicht umsonst. Der Rollstuhl liegt zerlegt im Kofferraum, der Steiger ist auf die Knie der Jugend auf dem Rücksitz verteilt. So kommen wir am Marktplatz an, falten uns aus unserem Huschdegudsl heraus. Rollstuhl ausklappen, Räder dran, Transfer - Showtime!
An den Fenstern im Gemeindezentrum sind inzwischen jede Menge Köpfe zu sehen. Der Weg zur Eingangstreppe ist leicht abschüssig, so kann ich ganz elegant davor rollen. Was beim Kopfsteinpflaster so von Eleganz noch übrigbleibt.
Linksdrehung, den Steiger einhaken.
Vorführeffekt, der Steiger paßt nicht mehr. Entweder er ist breiter geworden oder der Rollstuhl schmaler.
Moment mal, Rollstuhl schmaler, da war doch was! Mein Rollstuhl kann sich, wenn mal eine Engstelle kommt, schmal machen, auch wenn ich drin sitze. Feine Sache, das. Dumm ist nur, zum wieder breiter machen muß ich aussteigen. Soll angeblich auch so gehen, aber das habe ich noch nicht rausgekriegt. Vielleicht schau ich ja doch noch mal ins Handbuch.
Zum Glück stehen jede Menge Leute vor der Tür. Der neuen Rauchverordnung sei Dank. Eine kurze Einweisung und schon schwebe ich, daß Uri Geller seine Freude dran hätte.
Klick, der Stuhl ist wieder breit, Klack, der Steiger ist eingerastet und los geht’s.
Sssst, der Stuhl hebt sich, Klick, die Elektronik schaltet und zieht mich die Stufe hoch, Bumm, ich werde abgesetzt. Stufe für Stufe.
Ssst, klick, bumm, ssst, klick, bumm,
16 Mal, dann ist die Außentreppe überwunden. Jedes Bumm haut mir in den Rücken. Nicht besonders schmerzhaft, aber von angenehm denn doch weit entfernt. Jetzt geht es innen in den ersten Stock hoch.
Ssst, klick, bumm, ssst, klick, bumm,...
17 Mal.
Wir sind oben!
Tür auf, Hallo alle miteinander.
Die Leute stehen auf, klatschen. Mist, jetzt hab ich schon wieder Pipi in Auge.


So langsam wird es Zeit, die diversen Begrüßungsschlucke wieder zu entsorgen. Ja, der Saal ist im ersten Stock, die Toiletten im Keller. Mit dem Steiger wäre ich gegen Ende der Fete wieder zurück. Aber da ist noch ein kleiner Nebenraum, mein Kathederzeugs hab ich ja immer am Mann.
Aus 2 Stühlen ist schnell eine Ablage gebastelt. Aber wo stell ich den Spiegel hin? Meine liebste Spiegelhalterin weiß Rat, reicht mir die Utensilien und packt den vollen Kathederbeutel auch unauffällig weg.

So gegen halb zwei liegen wir in der Koje, schließlich kommt um 6:45 die nette Dame von der Sozialstation um mich für den Sonntag schick zu machen.

Das war ein Wahnsinnsabend, emotional ganz weit vorne. Mein Sitzfleisch hat gut durchgehalten, war aber leicht rot.
Jetzt weiß ich wenigstens, wie lange ich am Stück im Stuhl bleiben kann, wenn’s drauf ankommt. Sollte aber die Ausnahme bleiben. So’n Dekubitus ist keine Freude.

Meine Freunde haben mich nicht nur wiedererkannt, sondern mir gezeigt, daß sie mich auch im Rollstuhl noch als den akzeptieren, der ich bin. Ganz wichtig!

Unsere Freundin kriegt demnächst ne neue Schwiegertochter, ihr Sohn hat sich den Abend ausgesucht, um seiner Freundin die Frage zu stellen. Vor versammelter Mannschaft. So richtig mit Blumenstrauß, Kniefall, Taschentuch. Und Mikrofon. Damit es alle mitkriegen. Ich hatte schon befürchtet, er will singen.

Und in den Getränkehalter an meinem Rollstuhl paßt genau ein Schoppeglas (für Nichtpfälzer 0,5l) rein.