Samstag

Ich bin schon eine Weile wach, als mein Wecker losgeht. Morgens hören sich die Vögel einfach am Besten an. Bis die Pflege kommt, will ich kathedert haben. Nch dem Frühstück ist dann erstmal ein bisschen Büro angesagt. Von dem, was so im Lauf der Woche hereinkam, hat meine Frau schon das meiste erledigt. Ein paar Sachen müssen wir gemeinsam besprechen. Das hat aber Zeit, bis sie wieder da ist. Ich sag’s ja immer, Hauptsache, mir geht’s gut und meine Frau hat ne gute Arbeit.
Eigentlich hatte sie damals den Job nur angenommen, damit sie mal rauskommt und ein bisschen eigenes Geld hat. Jetzt sind wir froh drum. Das Krankengeld ist nämlich nicht so prickelnd.

Eigentlich wollte ich mich mittags rausliften lassen, und ein bisschen ins Dorf rollen, mal sehen, was die Festvorbereitungen so machen. Aber bei 30° und wolkenlosem Himmel sitze ich doch lieber im Schatten.
Loriot fällt mir ein, ich möchte einfach nur hier sitzen...

Langsam wird es kühler, jetzt aber los!

Wie üblich ist mal wieder alles zugeparkt, aber auf der Straße rollt sich’s eh besser.
Mensch, grüß Dich, lange nicht mehr gesehen! Unser alter Sessiondrummer. Die Stimme erkennt er, sucht erst einmal in Augenhöhe, da wo mein Gesicht früher war. Dann fällt sein Blick nach unten. Manchmal macht es richtig Spaß, zu sehen, was sich so auf den Gesichtern abspielt, bei ihm tut’s mir leid.
Er ist so ein lieber Mensch, den Schreck hat er nicht verdient. Ich drehe total auf, nehme mich dabei komplett zurück und stelle ihn vornan. Puuh, er fängt sich wieder, zeigt jetzt die Freude, mich zu sehen. Er kommt gerade aus dem Posthof, da spielt ein anderer Musikerkollege mit seiner neuen Band. Aber nix wie hin!

Die Band macht gerade Pause. Diesmal passe ich auf, falle lärmend in den Hof ein, rolle auf meinen alten Kumpel zu, lasse ihm die Zeit, den Anblick zu verarbeiten.
“Mensch, rasier dich mal, du siehst ja aus, als hättest du dein Gesicht nicht gewaschen.”
Der Schlagzeuger von unserer letzten Band taucht auf, er gibt heute den Tonmann. Diesmal sehe ich keine entsetzten Mienen, man freut sich, mich zu sehen. Ein paar Minuten haben wir Zeit, dann geht der Soundcheck weiter.
Das paßt, langsam kriegen wir Hunger, können ja später wiederkommen.
Es ist ein tolles Gefühl, sich einfach ganz normal mit der Menge treiben zu lassen, mal an einem Stand zu halten. Mein Rollstuhl, der in meinem Verstand unübersehbare Ausmaße hat, wird ein bisschen kleiner, nimmt fast die Rolle ein, die er haben soll. Der Mensch im Rollstuhl tritt immer mehr in den Vordergrund. Der Rollstuhl ist schließlich ein Hilfsmittel, kein Prädikat.
Immer selbstverständlicher bewege ich mich durch die Menge, nehme Fußgänger als das wahr, was sie sind. Fußgänger eben.
Da, ein anderer Rollstuhlfahrer. Ich grüße lässig, so wie sich Motorradfahrer grüßen. Die gleiche Handbewegung kommt zurück.

Später sitzen wir im Festzelt, trinken unseren Wein und hören der Band zu. Sauber gecoverte Titel, easy listening, ohne Schörkel. Am liebsten würde ich mitmachen.
Auf dem Heimweg muß ich mich ein Stück weit schieben lassen.
Kondition hätte ich schon noch gehabt, aber irgendwas stimmt mit der Lenkung nicht. Oder ob’s am Weißherbst liegt?