Der Weg geht weiter

Es ist Oktober. Langsam habe ich mich in der Querschnittsklinik eingelebt. Auch die Krankenhausküche reißt mich nicht mehr zu Spott und Häme hin.
Ich komme von einem meiner ambulanten Eingriffe aus der Urologie, sprich ich war mal wieder ‘ne Woche weg.

Diesmal hatte es wenigstens mit dem Abführen geklappt.
Das letzte Mal haben die mich gewindelt, die Nasen.

Als ich wieder da war konnte ich den lebenden Beweis dafür antreten, daß der Mensch vom Affen abstammt. Also ich vom Pavian, jedenfalls...
Aber ich schweife mal wieder ab. "Junge, Du schwafelst", höre ich meine Schwester sagen. Ist ja gut!

Die Stationsleiterin kommt und erzählt mir etwas über eine Reha-Klinik im Schwarzwald. Wie, jetzt wo ich mir zum dritten Mal wieder so viele Muskeln antrainiert habe, daß ich meinen Rollstuhl aus eigener Kraft weiter als 10 Meter bewegen kann? Jetzt soll ich wieder weg? Ich höre so etwas, wie Pflegesatz und Krankenkasse heraus.


Na klar! Die Vorstände erhöhen sich mal wieder die Gehälter aber ich... STOP! Ich wollte ja hier nicht politisieren.
Na toll, jetzt hat meine Frau endlich mal ein paar Tage frei, da wollte sie eigentlich in der Pflege mitlaufen. Könnte ja sein, daß mal die Sozialstation abbrennt, oder so.
Eins hat man mir sehr schnell klar gemacht. Meine Frau ist entweder meine Partnerin oder meine Pflegerin. Beides geht nicht, dann geht eines von beiden kaputt.
Ehrlich gesagt, es hat einen guten Moment gedauert, bis ich es wirklich kapiert habe. Inzwischen habe ich ein paar Leute getroffen, die meinten, es gehe beides.
OK, ich hab’s kapiert!
Heh, ich hab die tollste Partnerin überhaupt abgekriegt, das lass ich mir doch nicht kaputtmachen! Durch nix, daß das mal klar ist!
Natürlich schadet es nicht, wenn sie sieht, was bei meiner Pflege so abgeht. Aber wie managen wir das jetzt nur?

Aus Schwächen Stärken machen, das haben wir doch früher schon ganz gut hingekriegt. Dann soll sie zwei Tage hier mit laufen, dann den Umzug mitmachen. Dann weiß sie auch gleich, wo’s ist. Dann noch ein, zwei Tage in der neuen Klinik - langt!

Gesagt, getan, die letzten Tage sind vollgestopft mit diversen Untersuchungen, Gesprächen, Formularen. Oh ja, Formulare - da ging locker mal ein kleines Wäldchen durch den Drucker.
Es sollte ein Gesetz geben, daß für jeden Menschen nur so viel Papier beschrieben werden darf, wie er wiegt. Obwohl, das müßte ja dann auch wieder gedruckt werden. Hm, war nix...

Am letzten Tag, keine Ahnung, wem das auffiel, jedenfalls muß meine Frau unbedingt noch lernen, wie sie mich aus dem Bett in den Rollstuhl kriegt und latürnich auch wieder ins Bett.
Eigentlich weiß sie doch ganz gut, wie sie mich ins Bett - Autsch! Liebe Männer, es gibt Witze, die etwas verlieren, wenn euch gerade zwei Frauen im Schwitzkasten haben.
Nach einer guten Stunde sind wir beide naß geschwitzt und ziemlich aus der Puste. Aber es funktioniert. Und so ein Erfolgserlebnis tut richtig gut!
Unser breites Grinsen friert allerdings jäh ein, als die Therapeutin uns höflich und mit leicht diabolischem Lächeln ins Treppenhaus bittet...

“Haben Sie schon gelernt, mit einem Treppensteiggerät umzugehen?” Puh, gerettet, das können wir schon.
“Na prima, und jetzt stellen wir uns vor, wir haben kein Treppensteiggerät und der Lift ist ausgefallen.” Nee, oder? Und jetzt gibt’s die volle Packung!
Kippschutz wegklappen! Sehen Sie, da treten Sie drauf und kippen mit den Handgriffen den Rollstuhl nach hinten. PANIK! HILFE!
Sobald die Vorderräder hochgehen, sehe ich wieder die blöde Mauer auf mich zu rasen. NICHT KIPPEN! NEIN! AUFHÖREN!
Keine Chance, jetzt geht es die Treppe rauf, wieder runter, ich darf mithelfen, dann wieder die Arme auf der Brust überkreuzen...

Irgendwie geht auch diese Stunde(?) vorbei, meine Nebennieren haben sich inzwischen komplett in Adrenalin verwandelt und sehen bestimmt aus wie zwei Rosinen. Ich will nur noch ins Bett. Meine liebste Bettgenossin sieht aus, wie ein Möbelpacker nach ‘ner Doppelschicht.

Die Abschiedsszenen am nächsten Morgen halten sich in erfreulichen Grenzen. Ich werde aus dem Bett auf die Krankentrage gehoben. Mein Rollstuhl bleibt da, der gehört der Klinik. Ob ich jemals wieder einen so bequemen kriege?

Ich bitte den Fahrer doch gelegentlich mal in den Rückspiegel zu sehen, da unser Auto nicht mehr das neueste ist und mit knapp 40 PS auf der Bergstrecke eventuell nicht so ganz mithalten könnte.
Dann geht es los über die wunderschöne Schwarzwald-Panorama-Was-Weiss-Denn-Ichfürnestraße mit mir Klaustrophobiker hinten im geschlossenen Kastenwagen. Vorne drin ein direkter Nachkomme von Niki Lauda. Ein Riesenspaß!
Ich bin heilsfroh, daß der Eimer hinten so eine Art Schießscharten hat. Da kann ich wenigstens ab und zu einen Blick auf meine liebste Chauffeurin erhaschen. Ihrem Gesicht nach zu urteilen hat sie wenigstens ihren Spaß an der Strecke.

Doch auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende, wir halten vor einem grün gestrichenen Stahlbau.
Mein neues Zuhause für die nächsten Wochen? Monate?