Mobilität

Mobilität, die Freiheit, ohne fremde Hilfe dorthin zu ‘gehen’, wohin man will, für Fußgänger ist das selbstverständlich. Für Rollstuhlfahrer ist das ein Stück erstrebenswerte Lebensqualität. Es ist schön, wenn mich meine Familie fährt, wohin ich möchte. Mit dem Treppensteiggerät komme ich auch die Stufen vor dem Haus rauf und runter - aber alles nicht ohne Hilfe.
Einfach mal eine Runde um den Block drehen, ohne jemand um Hilfe bitten zu müssen, das wäre einfach das Größte. An der Lösung, wie ich aus dem Haus komme, arbeiten wir noch. Für größere Entfernungen brauche ich einen fahrbaren Untersatz. Einen der mich weiter bringt, als der Rollstuhl. Den sehe ich eigentlich nicht als Fahrgelegenheit an. Mein Rollstuhl, das sind meine neuen Beine. Ein Auto das wäre schön!

Aber davor hat der Gesetzgeber die StVO gesetzt. Wie so viele, wußte ich auch nicht, dass jede Beeinträchtigung oder Behinderung im Führerschein eingetragen sein muß, sonst verliert der seine Gültigkeit.
Also, bevor ich an ein Auto denken kann, muß erst einmal ein gültiger Führerschein her.
Wie’s Fritzchen sich das so vorstellt. Bevor ich an einen Führerschein denken kann, benötige ich ein ärztliches Gutachten. Na gut, dann gehe ich eben zu meinem Hausarzt.
Denkste, das muß ein Verkehrsarzt sein! Wenn ich als gebürtiger Deutscher schon einen Pfadfinder brauche, um mich in diesem Dschungel zurechtzufinden, was tut jemand, der kein deutscher Muttersprachler ist?
Die Frage ist jetzt eigentlich irrelevant, aber schon ganz prickelnd.
Aber zurück zu meinem Führerschein. Zum Glück hat der Chef der Rehaklinik die nötige Zulassung. Ich hole mir also einen Termin und wir führen ein nettes Gespräch. Der Chef ist noch einer vom alten Schlag, der alle seine Schäfchen kennen möchte. Mich kennt er gut und so kann ich das Thema Gutachten als erledigt ansehen. Inzwischen habe ich mich schlau gemacht. Mein Führerschein ist zwar nach wie vor gültig, aber die Beeinträchtigungen müssen eingetragen sein. Wenn ich ohne die Einträge Auto fahre, dann mache ich mich strafbar.
Damit ich fahren kann, muss ich Gas und Bremse mit der Hand bedienen können. Beim Fahren muß ich immer die Hand am Lenkrad haben. Jetzt muß ich mir nur noch eine dritte Hand wachsen lassen, damit ich Blinker, Scheibenwischer, Licht und so weiter bedienen kann. Na ja, das Licht kann ich ja einschalten, bevor ich los fahre, aber wie mach ich das mit dem Blinker? Eine dritte Hand kann ich mir ja schlecht auf die Schnelle wachsen lassen.
Aber da haben sich andere schon Gedanken gemacht. Die entsprechenden Schalter werden entweder am Brems-Gas-Hebel oder am Lenkradknauf angebracht. Der Lenkradknauf ist genau das, was der Name sagt, ein Knauf, der am Lenkrad angebracht ist. Damit kann ich das Lenkrad mit einer Hand bedienen.
Über den Pedalen wird dann später ein Blech angebracht, damit ich nicht mit dem Fuß z. B. unters Bremspedal rutsche.
Prima, dann muß ich nur noch ins Auto reinkommen.
Nur noch!
Also ist mal wieder die Ergotherapie gefragt. Die werden mir das schon beibringen. Während ich lerne, wie ich auf der Fahrerseite rein und raus komme, den Rollstuhl zusammenfalte und das Ganze übe und übe, höre ich mich nach einem passenden Auto um. Bei einem Gespräch mit einer Fachwerkstatt, die solche Autoumbauten macht, lerne ich wieder Neues. Aber das habe ich ja schon erzählt, jetzt will ich endlich wieder dürfen.

Zur Klinik gehört auch eine Fahrschule, da frage ich einfach mal. Der Fahrlehrer ist erstaunlich locker drauf. Ich frage, was es denn so alles gibt. Ja, zeigen wäre besser, meint er.
Schwupps, sitze ich hinter dem Steuer eines Mittelklassekombis und darf probieren. Fühlt sich alles ganz gut an.
“Komm, wir fahren mal ne Runde!”
“Hallo, ich wollte doch bloß mal fragen, was es da so gibt”
Aber der Motor läuft schon.
“Blinker, Wahlhebel auf R stellen.”
Wie, Was? Zu spät, wir rollen schon. Fühlt sich eigentlich gar nicht so schlecht an. Fühlt sich eigentlich überhaupt nicht schlecht an. HEH, ICH FAHRE!!!
Viel zu schnell ist die Proberunde vorbei. Jetzt aber ganz schnell die Unterlagen für den Kostenträger zusammengestellt. Der Fahrlehrer und die Sozialarbeiterin machen das inzwischen schon auf Zuruf.

Meine Frau ruft an, die Zusage vom Kostenträger ist da. Na toll, und ich hab nen Untersuchungstermin in einer anderen Klinik vereinbart.
Als ich in der Verwaltung nachfragen möchte, ob sich jemand gefunden hat, der mich in die andere Klinik fährt, falle ich fast über unseren Fahrlehrer, der auch gerade da ist. “Fahr doch einfach selber.” Haha, ich hab schon besser gelacht.
“Nee, ganz im Ernst, ich setz mich neben dich, wir machen das Fahrschulschild drauf, Du mußt ja sowieso üben”
In der anderen Klinik rutscht ein stolzer Chauffeur in seinen Rollstuhl, ich platze fast vor Stolz. Die Untersuchungen gehen vorüber, wie im Traum. Ich kann kaum den Rücktransport erwarten, da darf ich nämlich wieder selbst fahren.

Ein paar Tage später ‘chauffiere’ ich den Fahrlehrer in die große Kreisstadt, zum TÜV. Inzwischen klappt die Handbedienung schon ganz gut. Ein netter Mensch steigt hinten ein, nachdem er das Fahrschulschild abgemacht hat. Ich bleibe hinterm Steuer sitzen, darf weiter fahren. Prima, mir macht’s nämlich richtig Spaß. Der Typ der da eingestiegen ist, versteht Rollstuhlhumor und schnell sind wir in eine herrliche Flachserei vertieft. Ab und zu kommt mal ein ‘die nächste rechts’ oder ‘da vorne bitte links einordnen’.
Als der nette Mensch sich höflich verabschiedet, grinst mich der Fahrlehrer an. “So, das war jetzt die Prüfungsfahrt, bis Montag haben wir das Gutachten.”
Klar, er hatte so etwas erwähnt, vorhin. Ich dachte, der macht sich einen Spaß mit mir.
Nächste Woche kriege ich den Kostenvoranschlag für’s Auto. Den für den Umbau habe ich schon.
Vorhin habe ich die Sachbearbeiterin von meinem Kostenträger getroffen.
Die stehen Gewehr bei Fuß.
Mit meinem Führerschein, dem Antrag, den ich schon unterschrieben habe, meinem Personalausweis, dem medizinischen Gutachten, dem Gutachten vom TÜV, dem Gutachten von der Fahrschule und meinem Passfoto werde ich meine Frau bitten, bei der Führerscheinstelle vorbeizugehen.
Nee, nicht vorbei, sie soll besser reingehen...

Bald bin ich mobil!!!

Ist das geil?
Oder ist das geil!