Montag

Großkampftag!
Heute besuche ich meinen Arbeitgeber, ziemlich genau ein Jahr nach meinem Unfall. Die wollten sich damals vergrößern, es war einfach nicht mehr genug Platz in den alten Büros. Als klar wurde, daß es bei mir mit dem Laufen wahrscheinlich Essig ist, haben nicht sie lange gefackelt.
Ein anderer Laden hätte vielleicht gesagt: “Rollstuhl? Dumm gelaufen!” Und hätte mich zu Hartz & Co. versetzt. Meine Chefs sind einfach in ein Gebäude umgezogen, daß schon für Barrierefreiheit vorbereitet war.
“Was soll denn das? Wir wollten doch eh umziehen!”
Ich laß das Statement einfach mal so zum Auf-der-Zunge-zergehen-lassen stehen.

Inzwischen wurde eine Behindertentoilette eingebaut, die vorhandene Rampe hat ein Geländer bekommen, die Köpfe im Aufzug sind auf Rollstuhlhöhe. Ich bin schwer beeindruckt.
Einer meiner Chefs ist in Urlaub, der andere läßt es sich nicht nehmen, mir alles zu zeigen. Ich schlage vor, noch ein wenig zu warten, ich habe mir nämlich Unterstützung erbeten. Aus der Ergo will noch jemand kommen, wer weiß, vielleicht halte ich was für ganz toll, und das geht so gar nicht. Ja, und die Sozialarbeiterin möchte auch noch mal mit der Geschäftsleitung reden, den Zeitplan durchsprechen, wann ich in die nächste Phase gehe.

Bis die offizielle Gesandschaft da ist, kann ich ein bisschen durchs Haus rollen, die Kollegen überraschen, mit den neuen Mitarbeiterinnen flirten und auch noch ein paar Worte mit dem Chef wechseln. Er ist sichtlich stolz auf den neuen Bau.
Kann er auch, was ich bisher gesehen habe, gefällt mir.

Mittags treffe ich mich mit meinem Sohn zum “Dönern”. Der Dönerladen in der Nähe ist gar nicht schlecht. Mal sehen, wie ich da mit dem Rollstuhl hinkomme. Schließlich muß ich über eine vierspurige Straße mit Straßenbahngeleisen in der Mitte.

Die Straße ist kein Problem. Hoffentlich kriege ich keinen Ärger, weil ich mit dem Rollstuhl die Fußgängerampel benutze...

Vor dem Dönerladen sind 3 Stufen. Mist, daran hatte ich nicht mehr gedacht. Mein Sohn grinst sich eins. “Was willste, ich geh’ rein, halt Du mal den Tisch frei.”
Genau meine Worte, wenn wir früher ab und an Hamburger essen waren. Da bin ich an die Theke und er mußte immer den Tisch frei halten. Sogar den Tonfall hat er richtig hingekriegt.
Nase, Du.
Noch etwas hatte ich vergessen, die machen immer viel Knoblauchsoße dran. Der Geruch ist weniger wild, aber Döner aus der Hand, mit viel Soße, im Rollstuhl...
Zum Glück habe ich noch ein Hemd im Auto. Weiße Soße auf blauem Poloshirt macht interessante Muster.

Ja, voller Bauch rollt nicht gerne, der Satz hat was, aber egal, ich habe wieder eine Alltagsprüfung bestanden und das war den Preis wert.

Vor dem Aufzug treffe ich auf meine Multifunktionstherapeutin. Die Leiterin der Ergo selbst hat sich bereit erklärt, mich zu unterstützen. Heute sieht sie mal ganz und gar nicht harmlos aus. Mit einer geschäftsmäßigen Bluse und der neuen Kurzhaarfrisur - aber hallo, da mußte ich glatt zweimal hinsehen.

Der Aufzug kommt, der Chef steht schon drin. Das ist Effizienz. Da können wir gleich mit dem Rundgang starten. Bis auf ein paar Kleinigkeiten ist das alles gut durchdacht, ich komme wirklich überall hin. Sogar für meine Liege hat man eine Ecke gefunden.

Auf einmal steht der Techniker vom Sanitätshaus im Gang und grinst verschmitzt. Ach ja, zum Autoumbauer wollten wir ja auch noch. Irgendwie kennen die sich alle, Autoumbauer, Sanitätshaus, Fahrschule, Rollstuhlbauer. Keine Ahnung, wer da noch alles mitmischt. Aber das hat auch seine Vorteile. Gerade Querschnittpatienten brauchen sehr individuelle Hilfe. Das geht nur mit guter Kommunikation.

Nach einem kurzen Stop bei einem Teller-Suppe-Geschäft sind wir auf dem Weg zum Autoumbauer.
Isch ‘abe garrr keine Auto. Jetzt brauch ich aber eins und da dachte ich mir, ich schaue erstmal, was mir am besten hilft und sehe dann zu, dass ich das passende Auto dazu finde.
Irgendwie erscheint mir dieser Weg logischer

Beim Autobauer treffen wir dann noch einen Bekannten von einem Bildungsträger im Bereich Verkehr. Er hat beim Autoumbauer auch was abzuklären und dabei seinen Termin so gelegt, dass er mich auch noch unterstützen kann.

Und so rolle ich dann an: Vorneweg ich im Rollstuhl, dahinter meine ‘Hilfstruppen’.
Jeder meiner Begleiter stellt sich mit Namen, Firma und Position vor. Der arme Autoumbauer nimmt richtig Haltung an. Bei diesen hochkarätigen Begleitern, wie wichtig muß dann wohl der Typ im Rollstuhl sein.
VIP - mal mindestens.
Mal abgesehen, das es ein Wahnsinnsgefühl ist, mit so einem ’Hofstaat’ anzurollen, ohne die Fachkenntnis meiner Begleiter hätte ich ziemlich alt ausgesehen. Wer weiß, was da herausgekommen wäre. Im Nachhinein betrachtet war es absolut richtig, diesen Aufwand zu treiben. Auf die Art und Weise konnte alles in einer Besprechung gleich richtig geklärt werden.
Und dann geht’s zur Sache. Jede Menge Papier wird beschrieben und bemalt. Zahlen fliegen durch den Raum. Alle schauen ganz wichtig.
Unter sich sprechen Fachleute ihre eigene Sprache. Ich komme mir vor, wie meine Frau, wenn ich mit meinen Kollegen irgendwelche Computerprobleme ausdiskutiere.
Ich verstehe nur Bahnhof. Also setze ich mein allerwichtigstes Gesicht auf und versuche so intelligent wie möglich aus der Wäsche zu gucken. Ab und zu werfe ich ein ‘Aha’ oder ein ‘soso’ in die Expertenrunde.
Zum Schluß kommen wir auf zwei Ergebnisse. Ich hatte an einen Kombi gedacht, mit einer Vorrichtung, die meinen Rollstuhl hinten in den Kofferraum lädt, nachdem ich im Fahrersitz angekommen bin. Das geht zwar, aber dann kann ich noch zwei Leute mitnehmen und habe keinen Kofferraum mehr. Und bei meinem Transfertempo darf es nicht regnen.
Die Expertenrunde hat sich alternativ auf einen Bus geeinigt. Ich werde von einem Lift ins Auto gehoben, kann im Trockenen umsetzen, habe noch Platz für nen Kasten Bier und ne Pizza.
Mensch, so ein Ding sieht aber doch so behindert aus! Und der Preis, wie soll ich denn das bezahlen?

Der erste Punkt läßt sich schwer wegdiskutieren. Allerdings, wenn man getönte Scheiben einbaut, dann hätte ich immer einen Platz zum Kathedern, egal, wo ich bin. Mit dem richtigen Sitz kann ich mich sogar jederzeit zum Entlasten ablegen. OK, dafür fahre ich auch nen ‘Behindertenbus’.
Und den Preis, den kann man noch anpassen.
Lange nach Geschäftsschluß sind wir mit unserer Beratung fertig und machen uns auf den Heimweg.

Ich werde noch mal ne Nacht drüber schlafen, und mich dann für den Kombi entscheiden.
Oder doch lieber für den Bus?

Beim Einschlafen wird mir klar, was ich doch für ein Glück habe, von so großartigen Menschen umgeben zu sein. Ich muß nur aufpassen, dass ich das nicht irgendwann einmal als selbstverständlich nehme.
Das ist es nämlich ganz und gar nicht.