Physiotherapie

“WENN ICH SAGE, ICH WILL ZEHN KLIMMZÜGE SEHEN, DANN WILL ICH ZEHN KLIMMZÜGE SEHEN UND KEIN WORT HÖREN!”
“JAWOLL HERR THERAPEUT!”
Nach den Beschreibungen in der Akutklinik habe ich mir etwas in der Art vorgestellt. “In der Reha, da werden Sie fit gemacht, das ist nicht so lasch, wie hier”. Schaunmermal, sagt der Franzl immer.

Ich komme in die Turnhalle reingerollt. An der Wand sind Liegen angebracht. Darauf liegen Menschen in ziemlich schmerzhaft aussehenden Stellungen. Vor, neben und mit auf den Liegen sind andere Menschen in rot-weißen Anzügen, die mit den Liegenden seltsame Bewegungen durchführen.
Auf der anderen Seite sitzt jemand im Rollstuhl und hat die Arme nach links und rechts an Seilen eingespannt. An den Seilen hängen Gewichte. Sieht nicht besonders angenehm aus. Ein Stück weiter hängt jemand auch an Seilen in einer Art Käfig. Unterkörper in der Luft, Oberkörper auf der Liege. Oh, je, da kommt was auf mich zu! Na, jedenfalls schreit hier keiner rum.

“Hallo”, huii, die sieht aber fit aus, scheint unter dem Schlabberanzug auch gar nicht mal so schlecht dazustehen. Für’s Erste hat sie mal ne ganz nette Stimme, stellt sich mit Vornamen vor. “Ich bin für die nächste Zeit deine Therapeutin”. Also nix mit jawoll Herr Therapeut. Ich bin erstmal noch skeptisch. Sie drückt mir eine kleine Klappkarte in die Hand auf der ein paar Termine eingetragen sind. Die Karte soll ich immer dabei haben. Straff organisiert, wußt’ ich’s doch. Heute kriege ich das Zuckerbrot und morgen früh gibt’s dann den Drillmeister. Als ich noch erfahre, daß meine neue Bekanntschaft den Spitznamen Frau Quälfix hat, ist mein Nachtschlaf diesmal nicht ganz so erholsam.

Machen wir’s kurz. So daneben, wie diesmal lag ich schon lange nicht mehr. Als ich am nächsten Morgen mit gemischten Gefühlen meine erste Stunde erhalte, abdiene, - hmm erlebe passt eigentlich ganz gut, werde ich schnell eines Besseren belehrt.
Erstmal hilft man mir zu zweit auf die Liege. Dann werden meine Schuhe ausgezogen. Sie nimmt meine Beine und streckt sie, beugt sie, dreht da ein bißchen, zieht dort ein bißchen mehr, eigentlich alles ganz angenehm. Durch die Lähmung merke ich zwar nichts, aber stellenweise knackt und knirscht das schon gewaltig. Mein Gehör funktioniert schließlich noch. Als ich wieder im Rollstuhl sitze, merke ich, daß mein Rücken sich viel beweglicher anfühlt. Da hat sie doch gar nichts dran gemacht?!
Am nächsten Tag geht es an das Thema Muskelaufbau. Durch das lange Liegen ist das, was von meinen Muskeln übrig ist, gerade noch genug, um ein wenig in der Nase zu bohren, jedenfalls mit der linken Hand. Der rechte Arm ist ein Ärmchen, das sich gerade noch so selbst hält, wenn es nicht zu lange dauert.
Ein gewaltiges Stück Arbeit, behindert durch immer wieder kommende Schmerzattacken, durch Verdauungsstörungen, Hautirritationen im Sitzbereich und was da sonst noch die katholischen Radfahrer zum Absteigen zwingt. Ich ziehe Gewichte, mache Übungen mit Hanteln, lerne, wie man sich auf der Liege dreht. Meine Lieblingsübung ist eine Art Hometrainer. Das Ding hat einen Motor. Ich bekomme die Füße auf die Pedale geschnallt, und dann strampele ich quasi ein paar Kilometer. Wie auf dem Hometrainer. Das soll die Beweglichkeit erhalten, das Wasser aus dem Gewebe wieder abfließen lassen und noch für ein paar andere Sachen gut sein. Sieht richtig gut aus, wenn man nicht weiß, daß das Gerät ja eigentlich mich radelt.
Meine Fortschritte, und seien sie noch so mikroskopisch, werden begeistert begrüßt. Natürlich mache ich auch Rückschritte. An solchen Tagen gibt’s halt nur halbe Kraft, gewürzt mit einer gut dosierten Mischung aus Trost und Ansporn.
Als meine Therapeutin mal ein paar Tage frei hat, nimmt mich der Cheftherapeut unter die Fittiche - gerade, als mich mal wieder eine Schmerzattacke unbeweglich macht.
Hoffentlich liest er das nicht, eigentlich heißt das Abteilungskoordinator.
Er hängt meine Arme an Seilen auf. OK, das kenne ich schon, die dazu passende Übung hilft meistens. Dann nimmt er mich von hinten in den Arm und wiegt mich, wie ein Baby. “Wo tut’s denn am meisten weh?” Ich sage ihm die Stelle ungefähr. Er tastet über meinen Rücken. “Da , oder da?” “DAAAA!” Treffer! Mensch, tut das weh.
Ich weiß nicht, was er dann macht, aber plötzlich habe ich das Gefühl, als würde etwas knacken und dann fließt, wie durch einen Wasserhahn, ein großer Teil der Schmerzen einfach ab. So etwas habe ich noch nie erlebt.
“Hm, da war wohl eine Blockade. Besser?”
Besser? Ich schwebe, könnte Bäume ausreißen.
Er schaut, als hätte er mir netterweise das Fenster aufgemacht, so, als wollte er sagen, das war nur ne Kleinigkeit. Sein Ton paßt dazu. “Ich zeig Deiner Therapeutin die Stelle, dann kannst Du das nächste Mal sie ansprechen.
Der muß ein direkter Nachkomme vom ollen Merlin sein. Von wegen! Die ganze Truppe ist so drauf, da hat jeder seine Dinger auf Lager.
Ein anderes Mal hatte ich ziemliche Schmerzen im rechten Arm. Bei den Bemühungen, ihn wieder so aufzubauen, wie den linken, hatte ich es wohl etwas übertrieben.
Man klebte mir ein Band auf die Stelle, als wollte man sie markieren. Kurz danach begann der Schmerz nachzulassen, war bald fast weg.
Das hat irgendwie mit dem Zusammenspiel von Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen zu tun. So ganz verstanden habe ich es nicht.
Muß ich auch nicht, Hauptsache, meine Therapeuten wissen, was sie tun.
Sie wissen.

Meine Drillmeisterin hat sich übrigens als sensible, warmherzige junge Frau entpuppt, die sicher auf dem schmalen Grat zwischen Professionalität und Anteilnahme die Balance hält. Die ihren Spitznamen zu Unrecht, aber mit Nonchalance trägt. Und unter ihrem Schlabberanzug eine Mörderfigur hat.
Nicht, was Ihr jetzt denkt, ich sehe sie morgens immer bei der Wassergymnastik.