Mucke

Heute soll E.N.E. das erste Mal nach meinem Unfall wieder auftreten, entsprechend aufgeregt bin ich.
Ach ja richtig, wenn wir als Duo auftreten, dann nennen wir uns E.N.E., auf gut pälzisch:
Enner Unn noch Enner.
Meine Frau fährt mich hin, wird aber nach dem ersten Set wieder fahren. Sie muß morgen sehr früh raus.
Mein Sohn holt mich dann wieder ab.

Den ersten Set haben unplugged geplant, 2 Gitarren, 2 Stimmen und fertig.
Für mich die Königsklasse in der Livemusik. Da geht es ohne Netz und doppelten Boden direkt zur Sache.
Jeder Kiekser, Vergreifer, Saitenrutscher geht gnadenlos über die Anlage.
Mein Hände sind schweißnass, am liebsten wäre ich jetzt weit weg oder tot, egal, Hauptsache schnell.
Warum bin ich denn nicht Straßenbahnschaffner oder Metzger geworden?

Mein Partner nickt mir zu, jetzt gibt es kein zurück mehr.
Mit dem Mut der Verzweiflung nicke ich zurück, höre ein leises 'zwo, drei, vier' und ab geht die Luzie.
Nach ein paar Takten ist die Aufregung wie weggeblasen.

Der erste Titel fängt a capella an. Von rechts kommt die klare Stimme meines Partners, ich lege mich eine Terz drüber.
Es ist, als hätte ich hinten im Schrank meine schon verloren geglaubten Lieblingspantoffeln wieder gefunden.
Das paßt, die Stimmen schmiegen sich aneinander, wie ein altes Ehepaar, das "Es" nach langer Zeit mal wieder probiert.
'So neu und doch so vertraut', Klaus Lage beschreibt das Gefühl am Besten.
Jetzt setzen die Gitarren ein, ich schaue meinen Fingern fasziniert zu, wie sie fast wie von selbst über die Saiten laufen.
Meiner Stimme hat es auch nicht unbedingt geschadet, dass ich schon über ein Jahr nicht mehr rauche.
Die Einsätze passen, wo einer von uns nicht ganz sicher ist, reicht ein Blick, eine hochgezogene Augenbraue.
Es ist, als hätten wir erst vor ein paar Tagen zusammen auf der Bühne gestanden, als ob jemand einen Schalter umlegt.
Klick.
Dieses Gefühl der Zusammengehörigkeit, als würden wir synchron auf der selben Frequenz schwingen, keine mir bekannte Sprache hat Worte dafür, es ist sofort wieder da. Das vergangene Jahr ist weg, hat nie stattgefunden. Ich bin nicht mehr der Typ im Rollstuhl, der ‘ne Gitarre umhängen hat und da mit einem anderen singt.
Wir sind.
Beide verlieren wir uns in der Musik, um uns gleichzeitig als Einheit wiederzufinden.
Ein Lied in zwei Körpern, die im Gleichtakt schwingen.

Synchronschwimmer, Trapezartisten, vielleicht Tänzer können etwas ähnliches empfinden, es ist jedes mal anders und doch gleich.
Diese Faszination springt auch auf das Publikum über, unterschwellig, unbewußt, manche spüren, dass da etwas Besonderes passiert.
Ein Titel folgt dem anderen, irgendwann ist der Set zu Ende.
Ich könnte noch stundenlang so weitermachen, meinem Partner geht es genauso, aber wir halten uns ans Programm und jetzt ist Pause.

Lustig, heute abend ist eine meiner Pflegerinnen da, die mir auf meinem Weg durch die medizinischen Einrichtungen so begegnet ist.
Die mir zwangsläufig körperlich auch recht nahe kam - Kommen mußte, schließlich kann man jemand ja schlecht aus der Entfernung pflegen.
Natürlich werden jetzt erstmal ein paar Anekdoten ausgetauscht, weißt Du noch, was macht denn,...?
Aber obwohl wir uns sofort wieder prima verstehen, irgend etwas fehlt. Das Vertrauen, diese magische Komponente, irgendwo auf dem Weg ist sie verloren gegangen. Ich glaube, wenn ich jetzt plötzlich in einen pflegebedürftigen Zustand geraten würde, um es mal so auszudrücken, dann wäre das für uns beide fast schon unangenehm.
Wir machen uns den Spaß und lassen durchblicken, dass sie mir näher gekommen ist, als jede andere Frau im Saal, ja Dinge mit mir angestellt hat, die sie mit ihrem Freund nicht macht. Na klar, als Pflegerin auf einer Querschnittsstation. Aber den Tatbestand haben wir natürlich irgendwie vergessen zu erwähnen
Die verdutzten, teils entsetzten Gesichter mancher Umstehenden - Wir amüsieren uns königlich.
Der Junge neben ihr schaut ganz verschreckt. Ob es ihr Freund ist, oder nur so neben ihr sitzt, frage ich nicht nach, ist mir eigentlich auch egal.

Es ist Zeit für den nächsten Set. Diesmal setzen wir ein wenig Computerunterstützung ein, haben jetzt noch eine Schlagzeugspur, einen Bass, einfach einen volleren Sound.
Trotz des besseren Klangs habe ich das Gefühl, dass die 'pure' Musik bei vielen besser ankommt.

Als mein Sohn mich abholen kommt, komme ich mir vor, wie ein Teenager, der noch vor 12 zuhause sein muß.
Ach, Mensch, muß ich schon gehen?

Es hat richtig gut getan, gemeinsam die Balladen auszupacken, einfach wieder zusammen auf der Bühne zu stehen.

Unsere Frauen haben uns später gesagt, es hat ihnen auch gut getan, uns wieder gemeinsam spielen zu sehen.