Jahrestag

Heute ist es ein Jahr her, dass ich das Laufen verlernt habe. Könnte ich eigentlich als meinen 1. Geburtstag bezeichnen. Mach ich auch!
Irgendwo hab ich doch noch ‘nen Cabernet Sauvignon rumstehen. Nicht, dass der schlecht wird.

Aber es ist auch Zeit, für eine Zwischenbilanz, für ein Resümee.

Ich bekomme immer wieder Zuschriften, dass meine Seite Betroffenheit ausgelöst hat. Das war eigentlich nicht meine Intention. Ursprünglich war es nur für mich ein Mittel, den ganzen Mist zu verarbeiten. Ich weiß nicht mehr, wie ich auf das schmale Brett kam, die Geschichte ins Internet zu stellen, aber es war die richtige Entscheidung. Die Reaktionen haben mich allerdings zum Teil ganz schön geplättet. dass ich nicht immer positiv ankomme, das ist eben so. Genau so, wie ich meine Meinung frei äußere, dürfen das auch andere tun. Es gibt genügend Gegenden, wo das nicht so selbstverständlich ist. Anregungen und Kritik helfen mir, besser zu werden. Schön, dass die meisten Kritiker auch den richtigen Ton treffen. Ich bin da ein wenig altmodisch.
Zum Glück für mein Ego sind die meisten Reaktionen durchaus positiv.

Manchmal fällt das Wort Mitleid in meinen Zuschriften. Es ist vielleicht gut gemeint, aber Mitleid, das benötige ich nun wirklich nicht.
Verständnis, etwas Aufmerksamkeit für die kleinen Dinge, die uns Rollstuhlfahrer manchmal viel, viel Aufwand kosten, das wäre schön.
Anteilnahme trifft es besser. Bringt zwar nicht viel, ist aber gut für’s Ego.
Stimmt auch nicht, es bringt doch was. Das ist so, wie virtuell in den Arm genommen zu werden. Und so ein bisschen Kuscheln, das mag ich. Das kann ruhig auch mal ein bisschen mehr Kuscheln sein, idealerweise physisch.

Am meisten freue ich mich, wenn jemand in einer ähnlichen Situation, wie ich, auf meiner Seite einen Tipp findet, wie er oder sie die individuelle Lage ein bisschen verbessern kann.
Oder auch viel verbessern kann, freut mich natürlich noch mehr. Da lasse ich mich gerne als unbescheiden bezeichnen.

Aber mal ohne die Flachserei:

Mir persönlich hat das vergangene Jahr die Chance geboten, mich neu zu definieren, Gewohnheiten und Eigenarten, die ich an mir nicht mochte, abzulegen. Ich habe zum Beispiel aufgehört, zu rauchen. Erst gezwungenermaßen, dann habe ich weitergemacht. Immer noch eine tägliche Herausforderung an meine Willenskraft Mal sehen, wer gewinnt. Ich bin auf dem Weg zu mir zurück noch lange nicht angekommen, aber ich habe das Gefühl, die richtige Richtung eingeschlagen zu haben.

Spannung und Spaß, die Kleinigkeiten im Alltag, die ich früher übersehen habe, heute sind sie die Würze.

Ich hätte nie gedacht, was Zuhören für eine tolle Sache sein kann. Einfach nur da sitzen und zuhören. Wenn dann dein Gegenüber nur dadurch, das etwas ausgesprochen wird, eine persönliche Sache auf die Reihe kriegt und du siehst auf seinem Gesicht richtig, wie es ihm besser geht...
Die Reaktion macht mich manchmal richtig verlegen, aber es ist ein Wahnsinnsgefühl!

Vor meinem Unfall hätte ich das nicht hingekriegt.

Langsam wird es Zeit, den Heimweg einzuschlagen, so richtig physisch. Aber das geschieht ebenfalls schrittweise. Erst für ein paar Wochenenden, dann gibt’s Ferien, wie in der Schule. Na das wird noch richtig Stoff zum Schreiben geben.

Mir fällt auf, dass ich mit keinem Wort meine körperliche Situation erwähnt habe.
Ich sitze im Rollstuhl.
Und?