Mit dem Hund raus

Dass sich bei so einem langen Klinikaufenthalt mit der einen oder anderen Person eine gewisse Nähe ergibt, läßt sich kaum vermeiden. Mal ganz im Ernst, wir sind doch alle nicht aus Holz. Und da versteht man sich halt mit manchen besser als mit anderen.
Das hört sich jetzt anders an, als es gemeint ist. Will sagen, man freundet sich auch schon mal ein bisschen an. (Puh, die Kurve hab ich jetzt grad noch mal gekriegt)
Jedenfalls bin ich eingeladen. Ich freu mich schon, wie ein Schnitzel, wie einer meiner Lieblingsmoderatoren gerne sagt. Keine Ahnung, wie sich ein Schnitzel freut, hört sich aber nicht schlecht an.
Ein bisschen gespannt bin ich auch, weil ich ja bekanntes Terrain verlasse. Mal sehen, wie das wird. So ganz ohne Netz und doppelten Boden ist es natürlich nicht. Meine Gastgeberin und ihr Freund sind erstmal ein paar ganz liebe. Außerdem ist er selbst behindert. Beim Thema Rollstuhl und was damit zusammenhängt sind die beiden also nicht so ganz unbedarft.
Eigentlich wollten wir uns ganz schlicht in einen Biergarten setzen, in dem es auch ab und zu mal Livemusik gibt. Ollen Petrus hielt das aber nicht für so ne gute Idee und feuchtete die Gegend gut an. Mit seiner Version von Livemusik. In einem Schwarzwaldtal ist das schon beeindruckend. Die Lightshow war wirklich vom Feinsten. Und erst der Sound!
Der fegt dich glatt aus dem Stuhl.

Na, dann kommst du halt zu uns, wir Quatschen ein wenig und ich mach uns ein kleines Veschper.
Vorher können wir ja noch mit dem Hund raus.

Dieser beiläufig hingeworfene Nebensatz sollte mir ein ganz neues Rollstuhlgefühl bescheren. Aber ich greife mal wieder vor...

Meine Gastgeber hatten sich ein paar Alu-Schienen organisiert, damit sie mich mit meinem Rollstuhl und meiner kleinen Zugmaschine hinten in ihren Van einladen konnten.
Meine Zugmaschine! Sie besteht im Wesentlichen aus einem Elektromotor, ein paar leistungsfähigen Akkus, Rädern und einer Kupplung. Viel mehr ist nicht dran.
Das reicht auch, weiß ich jetzt.

Das Einladen geht etwas mühsam. Vielleicht hätten wir die Alu-Schienen ausziehen sollen, dann wäre der Winkel nicht so steil gewesen. Wobei - Mit nem kräftigen Schluck Adrenalin läßt sich so ein Abend doch wunderbar einleiten.
Sollte man sich merken.
Der Stuhl ist schnell festgezurrt, da merkt man gleich die Routine. Lustig, laut Gesetz muß der Rollstuhl so verankert werden, dass sich keine Fliehkräfte entwickeln können. Vom Rollstuhlfahrer steht da nix.
Für so einen Fall hat mir mal die Ergo meinen alten Nierengurt verlängert, so dass er um meine Lehne und mich herumpaßt. Zum Moppedfahren brauch ich den ja nicht mehr. Ist jetzt ein prima Sicherheitsgurt. Die Schrammen von meinem Unfall geben dem Gurt noch den letzten Pfiff.
Das Ausladen geht schon viel flotter.
Und da ist auch schon der Hund.
Das ist wenigstens ein Hund und nicht so ne kläffende Handtasche. Dem könnte man eigentlich ein Geschirr verpassen und mit einem Anschluß für meine Zugmaschinenkupplung versehen. Muß ich mal ansprechen, ich kenn da so nen Tüftler...

Meine Zugmaschine hat sich ja schon auf dem Weg in den Nachbarort zum Eiscafé prima bewährt. In der Ebene. Mit ein bisschen Steigung. Werde ich morgen sagen...

Und schon geht es einen Schotterweg hoch. Der mündet in einen Waldweg. Ah ja, das gilt also hier als steil. Da muß auch jede Menge Wasser in ziemlich kurzer Zeit runtergelaufen sein. Wie war das mit dem Gewitter vorhin?
Ich schalte den Kriechgang ein. Meine Zugmaschine packt den Hang an. Die Räder graben sich in den weichen, nassen Waldboden. Der Motor jault auf, als ob ich ihn getreten hätte. Plötzlich greifen die Räder und hoch geht’s. Das Ding zieh mich gnadenlos den Hang hoch. Ich muß nur noch die Deichsel hochhalten, damit meine kleinen Lenkräder nicht im Matsch verschwinden. Jetzt krieg ich langsam ne Ahnung davon, warum das Ding so teuer ist.
Nach der Steigung wird der Pfad enger. Und enger. Rechts geht’s steil hoch. Links noch steiler runter. Also, richtig steil. Und ordentlich tief. Geländer, Zaun? Fehlanzeige!
Gefühlte 2 Millimeter habe ich links und rechts noch Platz. In Wirklichkeit sind das bestimmt noch 5 Zentimeter.
Oben wartet das Paradies auf mich. In Form einer geteerten Straße. Mit nur einem ganz kleinen Hauch von Steigung. Schööön!
Nach ca. 100 Metern geht links eine Schotterpiste ab. Die ist im Winter bestimmt eine schwarze Skipiste, so steil, wie es da runter geht.
Ich frag nicht, ich weiß es auch so, da geht’s wieder runter.
Meine Zugmaschine hört sich an, wie ein kleines Kind, dem die Füße weh tun.
Papa, trag mich!
Unten angekommen, geht es einen kleinen Fluß entlang. In der Abendstimmung hängen die Nachwehen des Gewitters in der Luft. Zwischen den Bäumen haben sich noch ein paar Nebelschwaden fest gesetzt. Romantik pur.
Über eine ziemlich marod aussehende Holzbrücke kommen wir an eine Straße.
Fast da, wo der erste Schotterweg anfing, kommen wir heraus.
Meine Zugmaschine sieht aus! Befestigte Wege gehen halt anders. Gerade, wenn es vorher gewittert hat. Zum Glück kann ich mir meinen Rollstuhl nur anschauen, wenn ich nicht drin sitze.

Mit Eimer, Lappen und einer Rolle Küchenkrepp bringen wir meine Technik und mich wieder in einen vorzeigbaren Zustand.
Das hat jetzt Appetit gemacht. Mit selbstgebackenem Brot, deftiger Wurst, eingelegtem Was-auch-immer, begleitet von einem gut temperierten Chardonnay kommt langsam wieder das Gefühl auf, sich in der Zivilisation zu befinden. Ein perfekter Ausklang.
Wir schaffen es sogar, dass ich noch vor Mitternacht wieder in der Klinik bin.
Das hat mal richtig Spaß gemacht!
Beim Einschlafen fällt mir auf, dass ich mich zuerst wieder als der Junge gefühlt habe, der mit seinen Kumpels ganz alltägliche Dinge zu einem Abenteuer werden lassen konnte.
Dann bin ich - außerhalb der geschützten Umgebung von Klinik oder Zuhause - ganz normal mit Leuten zusammen gesessen, die ich mag. Wir haben gequatscht, gefachsimpelt, Musik gehört, “gfeschbert”, wie das ganz normale Leute eben so machen.
Der Krüppel, der muß irgendwo draußen vor der Tür gestanden haben, denn da war bloß ein ganz normaler Typ mit ner ziemlich großen Klappe.
Und das, das ist das eigentlich Schöne.

Danke dafür.