Eingefangen!

Ich sitze in der Ergo und meine Therapeutin ist mal wieder dabei, meine große Narbe am Handgelenk ein wenig weicher zu machen.
“Sag mal, was machst Du eigentlich für ne Musik?”
“Och, Rock so als Grobrichtung, gerne auch mal ne Ballade”
“Wir haben hier ne Hausband, hast Du Lust, mal mitzumachen?”
Ist der Papst katholisch?
Hat mein Rollstuhl Räder?

Na klar hab ich Lust, Mensch, endlich wieder Mucke machen!
Mein Freund und Duopartner hat mir in der Akutklinik “so als kleine Motivation” eine Silent Guitar geschenkt. Das ist ne Art E-Klampfe, die einen eingebauten Verstärker hat und die man über Kopfhörer spielen kann. Feine Sache für ne Klinik!
Das Gute dabei, das Teil hat auch nen ganz normalen Klinkenanschluß. Dann hört es sich an, wie ne gute Akustische, die über ein Piezo Pickup abgenommen wird.

So ganz zufällig hat die Band heute Abend Probe. Am Abend klopft’ s bei mir.
“Wie siehts aus?” Meine Therapeutin ist so nett und holt mich ab.
Und so steh ich mit meiner Klampfe um den Hals vorm Proberaum und wir warten auf den Mann mit dem Schlüssel.
Ganz nebenbei erfahre ich, dass meine Therapeutin auch in der Band ist. Sie ist die Sängerin.
Der Keyboarder und Bandleader kommt, “Hallo” und schließt auf. Ein ziemlich unauffälliger Typ. Genau so stellt sich klein Fritzchen einen Verwaltungsbeamten vor.
Erst später erfahre ich, dass er der Internatsleiter ist. Gut, dann kenne ich den auch.

Ganz im Gegenteil der Gitarrist und Frontmann. Der muß Pate gestanden haben, als der Ausdruck extrovertiert erfunden wurde.

Der Proberaum - Ich glaube, auf der ganzen Welt riechen die Proberäume gleich. Als würde ich nach Hause kommen. Das Equipment ist auch nicht von schlechten Eltern. Ein Röhren-Gitarrenverstärker wird aus der Ecke geholt und mir zugeteilt, für den ich eine ziemliche Weile sparen müßte. Das Teil mit dem “&” im Herstellernamen...
Gut, man sieht, dass das nicht alles auf einmal angeschafft wurde und auch schon ein paar Gigs hinter sich hat. Aber alles gut gepflegt. Mal sehen, wie der Abend noch wird.

“OK, was wollen wir machen, worauf hast Du Lust”, während er sein Keyboard-Kabinett hochfährt, spielt er mir geschickt den schwarzen Peter zu. Aber das Spiel beherrsche ich auch.
“Och, macht doch erstmal ein paar Sachen von Euch und ich schaue, wo ich einsteige”.
Ein klassischer Return.

Und dann verschlägt’s mir glatt die Sprache. Jetzt kriege ich ein paar von meinen Lieblingstiteln um die Ohren gehauen, sauber mehrstimmig gesetzt. Der vermeintliche Verwaltungsbeamte hat plötzlich zehn Arme und an jedem Arm drei Hände und webt einen Klangteppich nach dem anderen. Mit den Füßen spielt er auf den Pedalen einen gefühlvollen Baß, leicht laid back, genau, wie ich es mag.
Die haben mir die Meßlatte mal hoch gehängt, da muß ich aber die Ärmel hochkrempeln.
Bei Proud Mary versuche ich einzusteigen, aber meine Stimme, auf die ich mich blind verlassen konnte, meine Stimme, die jahrelang das Fundament meiner Musik war, meine Stimme ist weg!.

WEG!!!
Vielleicht 5% sind noch da.
 

Durch die Lähmung komme ich an die Muskeln, die ich für meine olle Rockröhre brauche, nicht mehr dran, was ich durch Training bestimmt kompensieren kann. Aber in dem Moment denke ich natürlich nicht so weit.
Mich packt die blanke Panik.
Meine Stimme ist weg!

Na, das ist ja ein toller Einstand! Ich merke, wie mir vor Entsetzen das Wasser in die Augen schießt.
Meine Chance kommt mit der Joe Cocker Version von With A Little Help From My Friends. Das war eins der Sahnestückchen von meiner alten Band. Zum Glück hab ich da alle Stimmen und Einsätze drauf.
Was mir momentan an Power fehlt, muß ich jetzt durch Gefühl ersetzen. Und Emotionen hab ich grad mehr als genug zur Verfügung. Also, Augen zu und laufen lassen.
Nach ein paar Takten merke ich, wie ich sicherer werde, OK, für den Druck muß ich noch trainieren, aber schließlich hab ich noch das Ohr und das Gefühl übrig. Der Vocal Caoch in mir meldet sich, jetzt bin ich dankbar für das jahrelange Training.
What would you doooo, - Pause - if I sang out of tune - Achtung, jetzt laß Dich zurückfallen - would you stand up - jetzt mehr sprechen - and walk out on mehehehe. Na bitte, geht doch!

Die Einsätze meiner Gegenüber kommen auf den Punkt, sauber 2- und 3-stimmig gesetzt. So langsam komme ich wieder rein und es fängt an, Spaß zu machen. Ich komme auf Touren, der Wechselgesang haut auf Anhieb hin, die Antworten kommen genau da, wo ich sie erwarte, das Keybord rotzt genau den richtigen Hammond-Sound drunter.
Ich merke, wie sich die Härchen an meinem Unterarm aufstellen.

Das isses!

Das ist das, was für mich Musik ausmacht. Ich habe keine Ahnung, wie der Keyborder es schafft, gleichzeitig den Drumcomputer permanent umzuregistrieren, seine Füße spielen den Baß, als hätten sie ein Eigenleben, ich höre genau den richtigen Orgel-Sound, irgenwie spielt er noch ne Begleitung dazu, ja und nen sauberen Gesang liefert er auch noch ab. Der Typ muß in einem früheren Leben ne Krake gewesen sein, so viele Hände kann doch kein Mensch gleichzeitig koordinieren.
Dann der Gitarrist - Was dem an Stimmumfang fehlt, macht er locker mit seiner Performance wett. Ne C&W-Stimme eben. Mit der er rumspielt, wie die Nachbarskinder mit ihren Murmeln.
Die rauhe Stimme des Gitarristen harmoniert super mit dem souligen Alt der Sängerin. Die ist eh der Knaller. Stimmsicher, mit genau dem Anteil Rauch in der Stimme, der ohne Umweg übers Gehirn direkt in den Bauch geht. Manchmal sogar noch eine Hand breit drunter.
Darüber schwebt ein klarer Bariton, der nur vom Keyboarder kommen kann.
Wo bin ich denn hier gelandet, das ist ja oberheftig.

Ich hab mal wieder Dusel - Cocker liegt mir, da kann ich mithalten.

Kennt Ihr das? Wenn es bei einem Song so richtig paßt? Wenn sich das von selbst hochschaukelt und einen einfach davonträgt? Genau das mach ich, ich lasse mich davontragen.

Wie, schon aus? Mit einem Whouwhouwhohu in einer gesungenen hawaiianischen Sonnenuntergangsblende lasse ich es langsam ausklingen. So mit nem Hauch Luft am Schluß.

War das geil!!!
Sorry, aber ein anderes Wort paßt da nicht.

In den Gesichtern der anderen sehe ich, dass es sie auch nicht ganz unbeteiligt gelassen hat.
Die indische Meditationsfigur hat ihre vielen Arme wieder eingezogen und grinst wie ne Pepsodent-Werbung.
Der Gitarrist schaut seine Gitarre an, als wäre der ein neuer Hals gewachsen.
Und die Sängerin macht ein Gesicht, als hätte sie doch noch ein Gummibärchen in der Tüte gefunden.

Die Frage stellt sich nicht - Jetzt rassel ich auch im Keller...