Ergotherapie

Ich war in jungen Jahren ab und zu zur Kur gewesen und kam in den "Genuß" der Ergotherapie. Damals durfte ich mir einen Gürtel flechten. Der war an der Wand angehängt. Aufstehen, Schleife legen, hinsetzen, aufstehen, Schleife legen, hinsetzen. Flechtzeit 4 Wochen pro Gürtel. Soll angeblich den Rücken gerader machen. Ich hab’s gehaßt. Jedesmal.

Hier soll ich jetzt mehrmals pro Woche Ergotherapie bekommen - na toll!
Mit diesem Gefühl warte ich auf jemand aus der Ergotherapie, der mir einen Leihrollstuhl bringen soll. Meinen superbequemen Stuhl mußte ich ja in der anderen Klinik lassen. War ja auch bloß ein Leihstuhl. Die Daten hat man hierhergefaxt. Mein eigener Rollstuhl ist beantragt. Ich weiß noch nicht, daß es noch 1/4 Jahr dauern wird, bis ich meinen maßgefertigten Stuhl in Empfang nehmen darf. Eine normale Durchlaufzeit beim Kostenträger. St. Bürokratius läßt grüßen.

Was macht eigentlich so eine Ergotherapie?
Beinahe hätte ich gesagt, alles, was den anderen Abteilungen zu mühsam ist. Wobei, auf den ersten Blick könnte man es fast glauben.
Wenn ich ein Problem mit meinem Rollstuhl habe, gehe ich zur Ergo.
Wenn ich eine Greifzange brauche, weil ich nirgendwo drankomme, gehe ich zur Ergo.
Wenn ich nicht weiß, wie ich vom Rollstuhl ins Bett komme, die Ergo bringt’s mir bei.
Eine meiner Narben an der Hand war verhärtet und wulstig geworden.
Die Ergo hat’s in monatelanger Arbeit wieder gerichtet.
Mein Nachbar, ein Tetraplegiker hat sich die Handschuhe durchgescheuert, die Ergo hat sie repariert.
Vorgestern hatte ich einen Platten, wer ist wohl mir meinem Reifen zum Sanitätshaus gedüst?
Die Ergo bringt mir bei, wie ich ins Auto einsteige, zeigt Rechtshändern, die ihre rechte nicht mehr gebrauchen können, wie’s mit links geht, zeigt Menschen, die Körperfunktionen verloren haben, wie sie sie kompensieren können.

Ich glaube, man kann es so umschreiben:
Alles, was notwendig ist, wieder ein möglichst normales Leben zu führen, bringt mir die Ergotherapie bei oder besorgt es und zeigt mir, wie man damit umgeht.
Einer hat mal gesagt, sie führen mich an der Hand auf dem Weg zurück ins Leben. Das gefällt mir. Sie haben mich zwar an der Hand, aber laufen muß ich selber.

An mir haben die so richtig ihren Spaß. Mein Leihrollstuhl paßt mir hinten und vorne nicht. Klar, die haben den nach den Maßen ausgesucht und eingestellt, die sie von der Akutklink bekommen haben. Der Heilungsprozeß verändert aber den Körper nicht unbeträchtlich. Und so bin ich 2-3 Mal am Tag in der Ergo. Mal muß die Lehne weiter zurück, dann stimmt der Sitzwinkel nicht, dann sind die Reifen zu weit vorne, ich kippe beim Anfahren nach hinten, Sitzgurt straffen, Sitzgurt lockern. Jeden Tag etwas anderes.
Die müssen zu der Zeit schon beim Nennen meines Namens Anfälle gekriegt haben.
Was sie mich nie spüren ließen. Im Gegenteil, wenn es länger dauerte, bekam ich sogar noch einen Kaffe angeboten.
Ich sitze dann meistens auf der Liege, während mal wieder jemand an meinem Rollstuhl rumschraubt und schaue zu.

Also die Mädels sind zu heftig, die gehen mit der Nähmaschine genau so gut um, wie mit der Standbohrmaschine oder mit der Flex. Die können Autos reparieren, Pferde trainieren, sticken, nähen, kochen, Computer aufsetzen, Bildcollagen erstellen, Igel züchten, Gitarrengurte bauen - aber showmäßig, Handschuhe reparieren, Gummi-greifreifen dranfieseln - Nein, alles können die auch nicht, aber wenn ein Problem auftritt, dann ist mindestens eine da, die so etwas in der Art schon einmal gehabt hat.

Als mein eigener Rollstuhl endlich kam, müßig zu fragen, wer sich darum gekümmert hat und etliche Details mit Hersteller, Versicherung und Lieferant geklärt hat, also als der endlich da war, mußte er natürlich komplett auf mich eingestellt werden. Ein Prozeß von einigen Wochen und viiiel Geduld. Wer hat da wohl so lang geschraubt, justiert, gespannt, bis es nirgendwo mehr zwickte?
Ach ja, in der Anatomie, Ergonomie, irgend so ne Mie, halt, die was mit Knochen und Sehnen und Gelenken zu tun hat, sind sie auch noch richtig fit.
Und sehen dabei sowas von normal, geradezu harmlos aus - bei einer hätte ich ja gesagt, Zufall. Aber die ganze Truppe?

Eines Morgens tut mir das Handgelenk weh, total überanstrengt. Hand ist Ergosache. Meine Therapeutin nimmt etwas Salbe, einen kleinen Holzknauf und schon habe ich Sterne vor den Augen. AUAAAA!
Entschuldigung, ich hatte vergessen, zu sagen, es könnte ein bisschen weh tun.
Ein bisschen, soso.
Bist Du soweit? Gut. Sie greift nach meinem Arm, setzt am Unterarm an. HGNNN! Ich bekomme gerade noch die Kiefer aufeinander gepreßt, sonst wäre es wieder laut geworden.
Nach ein paar Minuten läßt der Schmerz nach, das Handgelenk ist viel beweglicher und fast schmerzfrei.
Könnte sein, daß Dein Arm die nächsten Tage etwas berührungsempfindlich ist.
Ist er.
Und schön bunt. Grün, blau, braun, gelb.
Aber das Handgelenk ist wieder OK.

Ich könnte stundenlang so weiter machen aber bevor das jetzt in einen 7-stimmigen Lobgesang ausartet, höre ich besser auf.

Á propos Gesang...

Hatte ich erwähnt, daß meine Therapeutin außerdem noch eine Wahnsinnsstimme hat?