Sommerfest

So aufgeregt war ich schon lange nicht mehr.
Manche sind ganz verwundert, wenn ich alte Rampensau erwähne, dass ich Lampenfieber habe. Man gewöhnt sich an vieles, aber das Lampenfieber, dieses Kribbeln, das sich bis zur Panik steigern kann - ich brauche das. Dabei wird so viel emotionale Energie produziert, ohne die kann ich den Gig vergessen. Es ist auch egal, vor welchem Publikum ich spiele, ob es ein Club ist, eine große Halle oder ein Open Air, das Lampenfieber ist immer da.
Es gab ein paar Gigs, da bin ich ganz cool auf die Bühne hoch. Da hätte ich auch zu Hause bleiben können. Irgendwie war das nichts, da war kein Feuer drin, da gab es keinen richtigen Kontakt zum Publikum.
Gut ich habe ziemlich fehlerarm mein Repertoire abgespult, die Leute waren auch zufrieden, aber irgend etwas hat gefehlt.
Heute weiß ich, je intensiver das Lampenfieber, desto intensiver der Auftritt. Ich will’s ja nicht beschreien, aber daran gemessen, muß das heute abend ein Knaller werden.

Wir haben im letzten halben Jahr intensiv an unserem Satzgesang gearbeitet. Als kleinen Gag hatte ich mir ein kleines Schlagzeug bestellt, ein Drumkit, bei dem die Trommeln durch elektronische Pads ersetzt sind. Mit Pedalen kann ich ja nicht allzu viel anfangen. Der kleine Gag hat sich supergut in unser Programm eingefügt. Ein paar Titel haben wir uns richtig neu erarbeitet, regelrecht gefeilt. Wenn die Hälfte davon so klappt, wie in den Proben...

Wie bei jedem Gig mit der Kellerrasselband kommen auch wieder Gäste. Mit den meisten konnten wir noch proben, einer ist auch für uns ne Überraschung. Könnte sein, dass das zu ner Jam-Session ausartet.
Wär jetzt nicht sooo schlimm, aber schaunmermal, wie der Franzl so sagt.

Auf einen Gast, oder ne Gästin bin ich besonders gespannt. Die habe ich in den letzten Monaten gecoacht. Sie singt zwar nur drei Titel, aber für sie ist heute Premiere. Ich kann mir gut vorstellen, dass die inzwischen nur noch aus vibrierenden Nerven besteht.

Dann ist ein neuer Mitarbeiter aus dem Haus dabei. Der ist irgendwie auch so ne Art Chef. Jedenfalls haben ihm nicht allzu viele was zu sagen.

Der kam ganz bescheiden in die Probe, holte ne deutlich gebrauchte Akustikklampfe aus dem Koffer und dann ist mir fast das Kinn auf dem Boden aufgeschlagen. Was für eine Stimme!
Und die Klampfe dazu - heidenei oder so ähnlich sagen die Schwaben.
Erstmal fügt er sich nahtlos in den Background ein, findet die Löcher und stopft sie. Dann geht er nach vorne.
Es gibt so Typen, die stellen sich ans Mikro, nehmen ne ganz normale Akustische in die Hand - und die Bühne ist voll!
Und das liegt nicht daran, dass er so lang ist.
Wenn das im Probenraum schon so rüberkommt, bin ich gespannt auf den Gig.

Dann will noch ein Bluesmusiker kommen, der ist wohl aus den Staaten mal rübergekommen und hier hängen geblieben. Auf den bin ich auch gespannt...

Ich habe mich vorher nochmal etwas hingelegt, wurde gerade aus dem Bett geholt und in den Rollstuhl gesetzt. Mein “Arbeitsplatz” ist schon so aufgebaut, dass ich überall gut rankomme.

OK.

Showtime!

Unser Frontmann legt los. Der ist eh der Knaller. Egal, wie er drauf ist, der legt im Hinterkopf einen Schalter um und dann hält ihn nichts mehr. Nach der zweiten Strophe frisst ihm das Publikum aus der Hand. Da ist auch schon mein Einsatz. Zum Glück haben wir zu Anfang nichts besonders schweres, da fällt es nicht weiter auf, dass meine Stimme mal wieder ihren eigenen Kopf hat. Bis zum Chorus habe ich sie aber im Griff und kann ebenfalls Gas geben.
Unser Keyboarder hat sich mal wieder ein paar zusätzliche Arme und Beine wachsen lassen, die Sängerin hält sich noch ein wenig zurück. Gut so, wir wollen ja nicht gleich zu Anfang unser ganzes Pulver verschießen.

Dann kommt der erste Gast. Eigentlich sollte der Blueser jetzt drankommen, aber unser Langer hat ne üble Sommergrippe erwischt. Mit Hilfe der Pharmazie hat er sich so weit wieder fit gemacht, dass er ein paar Titel durchsteht, aber dann muß er wieder in die Koje. dass er überhaupt gekommen ist - 'n Mucker eben...

Und er füllt wirklich die Bühne. So angeschlagen wie er ist, er braucht wirklich nur ne Akustikgitarre und seine Stimme. Gut, die Gitarre ist natürlich verstärkt, sonst würde man hinten nichts hören.
Mir jagt eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken, der Typ singt klar und offen in Höhen hoch, da wäre ich schon lange im Falsett. Seine Finger machen Sachen mit der Gitarre, da fällt mir nichts mehr zu ein. Gleich mit dem ersten Ton hat er den Saal gepackt. Einigen Leuten bleibt buchstäblich der Mund offen.
Schade, nach drei Titeln ist der Zauber vorbei. Die “Zugabe” Rufe wollen nicht enden. Aber was nicht geht, geht eben nicht.
Wahnsinn, so habe ich den Carpet Crawler noch nie gehört.

Die Meßlatte liegt jetzt aber eine ganze Ecke höher - was solls, wir sind wieder dran!

Es erweist sich als weise Entscheidung, dass sich unsere Sängerin anfangs ein wenig zurückgehalten hat. Jetzt darf sie Gas geben!
Nach der Vorgabe ist sie richtig heiß. Wäre sie ein Pferd, dann käme bestimmt Dampf aus ihren Nüstern und sie würde mit den Hufen scharren.
Und sie läßt ihrem rauchigen Alt gekonnt die Zügel schießen. In den Proben ging das schon ohne Umweg über den Kopf direkt in den Bauch. Aber jetzt - live ...
Da kommt noch genau die richtige Menge an Emotionen dazu. Und schon könnte man mit meinen Unterarmen ein Auto abschleifen, so eine Gänsehaut habe ich. Aber da geht noch mehr...
Im Chorus packen wir nämlich dreistimmig hinten drauf, schön close gesetzt. Das ist es, woran wir die letze Zeit geübt haben.
Und es paßt! Die Einsätze kommen auf den Punkt, wir sind schön synchron, da läuft der Rest wie von selbst.

Wie, schon wieder Pause? Oh, jetzt kommt der Blueser dran.

Und wieder bekommt unser Publikum etwas ganz anderes vorgesetzt. Auf den ersten Blick ist da schon wieder einer, der zur Gitarre singt. Aber Blues ist eben Blues!
Und der Junge macht das nicht zum ersten Mal. Da merkt man gleich bei den ersten Takten, das ist ein Profi.
Was sein Vorgänger an Leidenschaft mitbrachte, er bringt eine unglaubliche Sicherheit. Die Stimmung im Saal wechselt mal wieder. Einige haben sofort den Blues, manche können damit nicht allzu viel anfangen, sind aber von der Professionalität und Routine beeindruckt. Man merkt, die Titel hat er schon tausend Mal gespielt, da sitzt jeder Schnaufer, jeder Atemzug. Dabei wirkt es keine Sekunde aufgesetzt oder abgespult. Gekonnt spielt er mit der Stimmung im Saal, wie auf einem Instrument. Diesmal gibt es natürlich auch eine Zugabe, das läßt er sich nicht nehmen.

Und schon sind wir wieder dran, jetzt aber mit Unterstützung. Unser letzter Gast macht sich bereit. Das Lamm, das zum Schlachter geführt wird, schießt es mir durch den Kopf. Aber sie tut das einzig Richtige. Bei den Reitern sagt man: “Wirf dein Herz über den Graben und spring hinterher”. Unser Frontmann kündigt sie an, wie nur er es kann, peitscht nochmal die Stimmung hoch. Nochmal tief durchatmen, ein Nicken zum Keayboarder, jetzt gibt’s kein Zurück!
Die Leute sehen, da ist eine von ihnen. Eine, die sich was traut. Und so wird sie auch angenommen. Die kleinen Versinger am Anfang, die werden überhört. Langsam wird sie sicher, spürt das Gefühl, das ihr aus dem Saal entgegenkommt. Der Beifall, der ihr entgegenschlägt, zeigt es deutlich. Hallo, das ist eine von uns, die für uns singt - sie wird regelrecht gefeiert. Erst zögert sie, weiß nicht so richtig, was sie mit diesem neuen Gefühl anfangen soll. Das gibt sich aber schnell und dann steht der Funke zwischen ihr und dem Publikum.
Wie, schon vorbei? Als sie nach dem letzten Titel wieder in der Realität ankommt, merkt man es richtig.
Heh, da will ich mehr davon, am besten jetzt gleich.
Am liebsten würde sie das Ganze noch mal von vorne singen. Nur zögernd gibt sie das Mikrofon wieder frei.
Die hat der Virus auch gepackt, die kann jetzt auch nicht mehr zurück.

Der Rest des Abends geht viel zu schnell vorbei, schon heißt es wieder abbauen, während sich der Saal langsam leert.

Was mich ganz besonders gefreut hat, diesmal war meine liebste Kritikerin da, hat sich extra die Strecke angetan, nur um mich mal wieder spielen zu hören - und die Band natürlich, ist schon klar.

Schade, dass sie am nächsten Tag arbeiten mußte und deshalb früher gegangen ist. Aber sie war da.

Spaß hat’s gemacht, uns und auch den Leuten.

Und die paar Pannen, vor denen wir uns so gefürchtet haben - it‘s rock ‘n roll!

Ach, übrigens, hat jemand Fotos gemacht? Ich würde gerne ein paar Bilder hochstellen, mailt mir aber bitte dazu, dass ich die Fotos verwenden darf. Wenn es viele Bilder sind, dann mailt mir nur, dass Ihr welche habt und wir machen wir etwas aus.
Oder meldet Euch im Internatsbüro.

Nicht, dass mir noch die Mailbox platzt...