Der erste Morgen

Die Pflegerin hat sich gerade verabschiedet. Ich sitze in meinem Rollstuhl. Es ist Samstag früh, so sieben, halb acht. Das mit der Sozialstation hat prima geklappt. Ein Anruf, ein Rückruf, und schon geht’s.
Meine liebste Frühaufsteherin ist auch schon weg, sie hat Frühschicht. Die Kinder schlafen noch. Es ist ganz still.
So richtig still. Ich kann das Ticken der Uhr im Wohnzimmer hören.
In einer Klinik ist es nie so ganz still. Noch nicht einmal nachts. Immer wuselt jemand herum, etwas klappert, Geräusche, die man nach einer Weile schon gar nicht mehr hört.
Ich hatte fast vergessen, wie still still sein kann.
Toll.
Aber, he, das ist mein erstes Wochenende. Da muß was gehen! Action!
Ich rolle in die Küche. Aha, die Kaffeetassen sind da wo sie hingehören. Oben im Hängeschrank. Mit der Greifzange würde ich wahrscheinlich gleich zwei oder drei holen. Ich brauch aber nur eine. An den Limonadenkasten komme ich prima. OK, ist ne Alternative. Den Toaster habe ich nach einiger Zeit herausgewurstelt. Heh, da ist ja noch ein Toast drin, der ist sogar noch ein bisschen warm. Prima!
So langsam kommt Abenteuergefühl auf. Ich muß in einer unbekannten Umgebung überleben. Halten Sie durch, Mr. Bond.
Das nächste Problem. Ich brauche Licht. Nach einigem Herumprobieren habe ich herausgefunden in welcher Position ich den Rollladen hochziehen kann. Im Hellen finde ich dann auch den Lichtschalter.
Mit meiner Greifzange schaffe ich es, ein Glas Himbeermarmelade aus dem Schrank zu ziehen. Ein bisschen recken, dann - müßte - ich - die - Margariiine kriegen.
Ja! Geht doch!
Marmeladentoast mit Lightlimonade. Gibt’s im Ritz nur nach Vorbestellung.
Ok, Zähneputzen ist angesagt. Bad fällt aus, also probieren wir es in der Küche. Aha, merk dir, daß die Spüle einen längeren Hebel am Wasserhahn braucht. Dann eben mit einer Waschschüssel. Eine Salatschüssel tut’s auch. Zähneputzen mit Mineralwasser fühlt sich im Mund ziemlich heftig an.
Mal sehen, was so sonst noch funktioniert. Die Terrassentür bekomme ich auf. Aber die Schwelle, die ist nicht von schlechten Eltern. Merken - Kleine Rampe bauen. Aber rausgucken geht. Ist auch was.
Die Fernbedienung vom Sat-Receiver. Das ist doch was für mein’ Vatta sein Sohn! Mal sehen. Wie, Passwort. Mh, Mh. Mh, Mh, Mh. Wußt ichs doch! Erstmal die Erotikkanäle nach vorne. Sportkanal? Braucht kein Mensch, den können wir löschen. Was ist das denn? Ein Kanal für Computerspiele? Wer will den so was sehen? Und das? Direktübertragung aus dem Parlament von Luxemburg. Letzebergisch. Hört sich nett an. Das nehmen wir in die Favoriten. So, fertig. Möchten Sie speichern? Ich weiss ja jetzt, wie’s geht. Nein, alte Konfiguration beibehalten. Besser ist das.