Rollende Reportagen

Ich habe ein neues Hobby, Radio machen. Eigentlich hat mich der Medienbereich schon immer fasziniert, als Kind habe ich sogar ein paar Statistenrollen gespielt, einmal durfte ich sogar einen Satz sagen. Für einen Tatort, Kommissar, irgendwas in der Richtung habe ich in einem Zeitschriftenladen eine Illustrierte gekauft. Da habe ich 30 Mark für gekriegt. Meine Mutter war ziemlich in Sorge deswegen, ich sollte doch von Fremden nichts annehmen. 

Später habe ich beim Öffentlich-Rechtlichen eine Gesangs- und Sprachausbildung bekommen. War das ein Gefühl, durch das große Funkhaus gehen, am Pförtner vorbei, einfach dazu gehören. Ab und zu traf man auf den Gang eines seiner Idole. Jetzt bloß nicht in Ehrfurcht erstarren, man ist doch schließlich ein Kollege, ein lässiges “Hallo” oder ganz frech: “Grüß Dich”. hoffentlich war das Zittern in der Stimme nicht zu hören.

Ja und dann las ich etwas über Internet-Radios, Spartensender, sogar speziell für Behinderte. Ein paar Mails später war ich offiziell ehrenamtlicher Mitarbeiter bei einem Spartensender für Behinderte. 
Oben, an der Nordsee. Aber zum Glück gibt es ja das Internet. 

Nach der ersten Probesendung kam ein Paket, Sweater, Polohemd, Kappe, Windschutz fürs Mikrofon, sogar eine Fleecejacke, alles mit dem aufgestickten Senderlogo.

Und jetzt bin ich mal wieder auf Parkplatzsuche. Vom Verein Mobil mit Behinderung habe ich erfahren dass da drei Rollstuhlfahrer im Rollstuhl von Marburg nach Marseille fahren. 

Wie bitte?

Im Rollstuhl?

Die muss ich sehen!

Im Rathaus der Nachbarstadt gibt es einen großen Bahnhof für die drei. Natürlich habe ich mich auf der Homepage informiert, mir die Namen eingeprägt, auf meine Art. Ich habe die Seite mit den Namen und Bildern ausgedruckt und hinten auf meine Reportertasche geklebt. 

Direkt am Rathaus sind Behindertenparkplätze, sogar so, dass ich meinen Lift zum Bürgersteig hin ausfahren kann. Da hat mal jemand gedacht bei der Stadtverwaltung. Wegen der Parkplatzsuche bin ich früher los gefahren. Jetzt habe ich noch Zeit.

Als ich meinen Lift raus fahre, trifft mich der Hammer. Ist das heiß hier! Klar zwischen den Häusern in der Stadt staut sich die Hitze. Wo ist das nächste Eiscafé? Ah da hinten.
Man merkt gleich, dass die Leute hier an Rollstuhlfahrer gewöhnt sind. Die Bedienung kommt ganz selbstverständlich hinter der Eistheke heraus. Keiner starrt, ‘Oh guck mal der da’ oder ‘Die arme Sau’. Sprüche, die man nimmer wieder zu hören bekommt, hier bin ich einfach ein Mensch. Das Eis bekomme ich nicht in einer Waffel, sondern in einem Becher, den ich mir zwischen die Beine klemmen kann. 

Schon angenehm.

Beim Rausfahren sehe ich eine Gruppe junger Leute, dabei auch ein paar Rollstuhlfahrer. Heh, das sind ja die “Rolliourer” aus Marburg, die da ganz gemütlich ihr Eis löffeln.

 


Die Anekdote mit der Staatskanzlei macht die Runde: In Mainz gab es Probleme mit der Unterbringung. Die Begleitfahrzeuge brauchen Strom, um die Akkus der Rollstühle wieder aufzuladen. Unterkünfte mit Behindertentoiletten sind auch nicht überall zu finden. Kurzerhand wurde Kurt Beck angerufen, der die Schirmherrschaft über die Aktion übernommen hat. Er meinte, die Staatskanzlei hat das alles, im Hof ist genügend Platz für alle Begleitfahrzeuge, sie sollen einfach dort übernachten, fertig. Und so kamen sie zu einer Übernachtung in der Staatskanzlei.

An einem Tisch ist noch Platz. Na klar, selbstverständlich darf ich mich dazu setzen. Als ich sehe, was für ein Troß die drei begleitet, wird mir klar, dass die Idee inzwischen zu einem Projekt angewachsen ist, das sehr gute Chancen hat, auch Erfolg zu haben. Am Straßenrand ist ein Begleitfahrzeug geparkt, nicht das Einzige. Schnell haben die drei mich mit ihrer Natürlichkeit in ihren Bann gezogen.

 

Ob ich ein paar Fotos machen dürfte? Aber gerne. Ich gebe mich als “Rollender Reporter” zu erkennen, spreche das vereinbarte Interview an. “Machen wir nachher, kein Thema.”

Das sind beileibe keine Spinner, die sich bloß einen Studentenulk machen wollen, die drei wollen mit ihrer Tour etwas bewegen. Sie wollen anderen Behinderten zeigen, dass man sich nicht verstecken muss, dass man auch Ungewöhnliches erreichen kann, wenn man nur will.

Gleichzeitig soll die Tour auch eine Demonstration sein. Dafür, dass man behinderte Kinder nicht immer in Sonderschulen unterbringen muss. Schließlich haben sie auch auf einer ganz “normalen” Uni studiert. Es soll eine Demonstration sein dafür, dass Behinderte, die eine Assistenz brauchen, sich diese frei aussuchen können. Für das Recht auf Mobilität und Integration. Es kann doch nicht sein, dass ein Busfahrer, der eine Gruppe Rollstuhlfahrer mitnehmen will und auch Platz dafür hat, bestraft wird, nur weil irgend jemand beim Umsetzen einer Richtlinie nicht nachgedacht hat.

All diese kleinen und großen Begebenheiten, von denen viele Rollstuhlfahrer erzählen können, da möchten die drei Rollitourer einfach den Finger in die Wunde legen, damit der Integrationsgedanke ein bisschen mehr in den Köpfen der Menschen ankommt. Und viele sind gekommen, um die drei anzufeuern, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass sie verstanden werden:

  • Der Bürgermeister empfängt sie im Rathaus, überreicht einen Umschlag. Da wird sich die Reisekasse freuen.
  • ForseA, das Forum zur selbstbestimmten Assistenz schickt jemand vom Vorstand.
  • SMA Deutschland, Philipp und seine Freunde schicken den Namensgeber selbst und den Vorsitzenden.
  • Der Verein Mobil mit Behinderung, bei dem ich selbst aktiv bin, hat einige Rollstuhlfahrer mobilisiert, inclusive Vorstand. 
  • Auch die Stiftung Integration durch Mobilität lässt es sich nicht nehmen, ihren Vorsitzenden in Marsch zu setzen, genau wie der Club Behinderter und ihrer Freunde aus der Südpfalz.
  • Die lokale und regionale Presse ist da, sogar Fernsehkameras werden aufgebaut.

Dazwischen der kleine “Rollende Reporter” von Radio4Handicaps.
Und irgendwie habe ich das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein, dazu zu gehören.