Freunde und Helfer

Die Woche fängt ja richtig gut an, denke ich mir, als ich in die Strasse einbiege. Mein Parkplatz ist mal wieder von so einem rücksichtsvollen Menschen belegt. Na gut, diesmal hat jemand sein Wohnmobil direkt vor das Schild mit dem Rollstuhl und der Nummer gestellt. Wenn in der Nähe etwas frei wäre, würde ich ja nichts sagen, aber die Leute hier parken sowieso, wie sie wollen. Also werde ich meine Kollegin wieder einmal bitten, die uniformierten Freunde und Helfer anzurufen. Die erkennen uns inzwischen schon an der Stimme. Die werden versuchen, den Halter festzustellen, damit der seinen Blechhaufen woanders hinstellt. Meistens sind das irgendwelche Geschäftsleute oder Vertriebsmenschen, die meinen, so ein Musterkoffer ist eine ausreichende Behinderung. Mir geht es schon lange auf den Keks. 

Irgendwann in den nächsten 2 Stunden kommt dann ein Anruf, dass ich jetzt auf meinen Parkplatz kann. Entweder das Polizeirevier hat den Halter erreicht und der hat sein Auto weg gefahren oder der Abschleppdienst hat die Kiste entfernt. Ab und zu kommt ein Anwohner angestürzt, Moment, ich wollt doch bloß ...

Die wissen am Genauesten, dass hier rigoros abgeschleppt wird, unglaublich. Ich muss dann den Unterricht unterbrechen, Jacke an, 14 Minuten einsteigen, 1 Minute umparken, 12 Minuten aussteigen. Wenn ich einen schmerzarmen Tag erwischt habe. Sonst dauert’s länger. 

Ich stelle mein Auto in die Einfahrt, so, dass man noch daran vorbei fahren kann und hoffe, dass keine der anderen Firmen eine grössere Lieferung kriegt. Als ich den Lift raus fahren will, höre ich eine Frauenstimme: “Bleibt das Auto hier länger stehen?” 

“Hä?”

“Na, um halb zehn kommt mein Umzugswagen.”

Es gibt so gewisse Arten, etwas auszusprechen, die wirken sich direkt auf meinen Blutdruck aus. Die hier ist locker für 3,8 bar gut. Am Liebsten würde ich jetzt etwas anderes sagen, steige in Gedanken mit beiden Füßen(!) auf die Bremse. 

”Nein nein, sobald der Parkplatz da drüben frei ist, fahre ich weg.” 

“Ja aber, wenn der nicht weg fährt...” 

OK, sie kann nicht wissen, dass mir die Formulierung ‘ja aber’ ansatzlos den Blutdruck auf 250 bar stellt. 

“Nein, nein, der wird ganz schnell abgeschleppt” 

“?”

“Weil er auf einem ausgewiesenen Behindertenparkplatz steht.”

“Ohgottogottogott.”

“Also, bis halb zehn müsste wieder frei sein.”

Jetzt geht sie so weit zur Seite, dass ich meinen Lift ausfahren kann. Als ich mit dem Rollstuhl auf die Plattform heraus rolle, kann ich fast hören, wie die Relais schalten. 
Behindertenparkplatz - Klick - Lift am Auto - Klick - Rollstuhl drauf - Mit jemand drin - Klickklick - Abschleppen - Parkplatz frei, Hofeinfahrt frei - AAAH! 
Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, wenn sich auf den Gesichtern die Erkenntnis abzeichnet.
Es ist aber auch noch früh, bestimmt hatte sie auch noch keinen Kaffee.

Pünktlich zur Frühstückspause um halb zehn klingelt mein Handy. Heute sind die Kollegen Mitbürger in Uniform freundlich, aber sehr genau. Sie möchten mich gerne sehen. Na klar, könnte ja sein, dass da einer mit nem geliehenen Ausweis unterwegs ist. Also rolle ich runter, stelle mich vor, Name, Schuhgrösse, Bauchumfang. Mein Rollstuhl ist nicht zu übersehen und an der Beinstellung sieht man sofort, dass die Haxen nur noch dazu taugen, sein Bier drauf abzustellen. Mit Tablett natürlich. Der Halter kann nicht ermittelt werden, es kommt auch aus den Häusern rundherum niemand angerannt, also muss der gelbe Haken geholt werden. Sprich, der große gelbe Lastwagen mit dem dicken Haken. Der ist auch bald da, lädt routiniert auf und rauscht wieder ab. Großkampftag. Ich habe mich inzwischen hinter das Steuer gewurstelt. Im Rückspiegel sehe ich, wie die Polizisten ein ziemlich emotionales Gespräch mit einer älteren Dame führen. Umgeparkt habe ich schnell. Als ich mich abschnalle, hält ein dicker gelber Wagen mit einem großen Haken dran neben mir. Der wird doch nicht ...

Nein, der hat ja schon einen hinten drauf. Den er jetzt ablädt. Das ist doch der Wagen, den er gerade geholt hat. Aber hallo, die Gute hat aber eine astreine Argumentation drauf. Einen erfahrenen Polizisten dazu zu bringen, dass er den Abschleppwagen wieder zurück pfeift, das hat was. Obwohl, wenn ich gewusst hätte ...

Hab ich aber nicht. Und ich bin in meiner Zeit als Fussgänger auch schon mal versehentlich auf einem Behindertenparkplatz gelandet. Wirklich versehentlich, weil ein Ast das Schild verdeckt hat. Ein Ahorn war’s, das weiss ich noch. Na jedenfalls bin ich mit einem Kumpel zur Verwahrstelle gefahren, um mein Auto auszulösen. Da hat nicht mehr viel zu einem wirtschaftlichen Totalschaden gefehlt. Zweihunderdfünfzig Mark plus zwanzig Mark für den Strafzettel. Für das Auto hatte ich vierhundert gelöhnt. So als Lehrling, wie das damals noch hieß, da hat man gesehen, dass vorne ein Motor drin ist und die Kiste ein Dach und vier Reifen hat.

Na, jedenfalls hat man mich damals belehrt, dass ein durch einen Ast verdecktes Schild aus einem Behindertenparkplatz keinen öffentlichen Parkplatz macht. Selbst ein Lastwagen vor dem Schild ändert da nichts dran. 

Trotzdem, wenn ich nicht auf genau diesen Parkplatz angewiesen wäre - ein bisschen tut sie mir schon Leid.

Zum Glück hat der Umzugswagen Verspätung, aber jetzt bin ich ja weg.

Mittags drückt mir ein Kollege mit verschämten Grinsen einen Streifen Thermopapier in die Hand. Ein Strafmandat wegen Parkens auf einem speziell ausgewiesenen Parkplatz für aussergewöhnlich Gehbehinderte oder Blinde. Tja, Kollege, das hätte ich Dir gleich sagen können! Die Parkplatznummer kommt mir bekannt vor. Und das Kennzeichen - DAS IST JA MEINS!

Da hab ich doch glatt einen Strafzettel bekommen, weil ich auf meinem eigenen Parkplatz parke und angeblich meine Sondergenehmigung mit der Parkplatznummer nicht ausgelegt habe?

Die klebt in der Windschutzscheibe, seit ich sie habe. Die Windschutzscheibe.
Die kann ich gar nicht rausnehmen. Die Sondergenehmigung.
Ein freundliches Telefonat am nächsten Morgen wird klären, dass die Politesse wegen der Sonneneinstrahlung nur den europäischen Behindertenausweis gesehen hat. Der hat wenigstens bewirkt, dass ich nicht sofort abgeschleppt wurde. Ja, gleiches Recht für alle!

Als ich abends nach Hause fahren will, bin ich immer noch leicht vergrätzt. Und so passiert es. Gleich in der ersten Kurve - PADABUMMM.
Vielleicht hätte ich meinen Rollstuhl fest machen sollen. Wie ich das eigentlich immer mache. Nur heute nicht. Warum? Keine Ahnung. 
Ich fahre bei der nächsten Möglichkeit rechts ran. 

Ich drücke den Schalter, um den Fahrersitz zurück zu fahren. Kein Mucks. Hm, irgendwas klemmt dahinter. Die Elektronik merkt das Hindernis und schaltet sofort ab. Irgendwie muss ich an den Rollstuhl ran kommen, der hinter dem Fahrersitz klemmt. Das geht jetzt länger, erst mal den Motor abstellen, dann ab schnallen - erst den Sicherheitsgurt, dann den Spezialgurt, der mich in den Kurven im Sitz halten soll. Dann drücke ich mich mit den Händen im Sitz hoch, drehe den Oberkörper ruckartig zur Seite. Meistens kommt der Unterkörper dann ein Stückchen nach. Von draussen sieht das aus, als wollte ich mitsamt dem Sitz anfangen zu hopsen. Aber es klappt, ich komme so weit herum, dass ich mit dem Arm hinten über die Lehne greifen kann, einen Handgriff des Rollstuhls zu fassen kriege. Der 21 Kilo wiegt und verkehrt herum hinter dem Fahrersitz klemmt. Mein Rutschbrett liegt immer noch auf dem Sitzkissen, keine Ahnung, warum. Als erstes schnappe ich mir mal das Rutschbrett und verfrachte es auf den Beifahrersitz. Jetzt kann ich mit einem beherzten Ruck den Rollstuhl aus seiner Verankerung befreien. Herumdrehen und Sichern ist jetzt nur noch Formsache. Das Rutschbrett in seine Halterung gesteckt und schon kann ich wieder herum “hopsen”. Probeweise drücke ich den Schalter, der den Fahrersitz zurück fährt. Einwandfrei.

In dem Moment rutscht mir mein Mobiltelefon aus der Halterung. Früher war ich bekennender Handyverweigerer aber im Rollstuhl hat so ein Teil echte Vorteile. Bääh, heute ist doch gar nicht der Dreizehnte. Also, Sitz hoch, ganz nach hinten, drehen, ganz runter fahren. Wenn ich mich jetzt am Kasten der Steuerung festhalte und langsam nach links kippen lasse, dann kann ich fast bis in den Fussraum greifen.

Mit den Fingerspitzen komme ich gerade so an das Handy dran, lockere rechts meinen Sicherungsgriff, kann zufassen. Wieder ein kleiner Sieg!

Als ich wieder hoch komme und mich anschnallen will, sehe ich zwei Polizisten, die mir ganz interessiert zusehen, so nach dem Motto, schauen wir erst einmal, ob er’s auch so packt. Find ich gut, dass die nicht gleich vor lauter Hilfsbereitschaft über mich her fallen, sondern mich erst einmal selbst probieren lassen. Der eine tippt mit zwei Fingern dahin, wo normalerweise seine Dienstmütze sitzt. Er sagt etwas zu seinem Kollegen, der grinst zu mir herüber, lässt den Streifenwagen an, nickt mir noch mal zu und sie verschwinden hinter den Kurve - unsere Freunde und Helfer.

Eins muss man ihnen lassen, aufmerksam sind sie - und wenn man sie nicht allzu sehr ärgert, merkt man ganz schnell, dass die auch bloß ihren Job machen. 
Schliesslich müssen auch Polizisten ihre Miete bezahlen.