Geht das hier nach Größe?

Langsam sollten die mich doch kennen, im Supermarkt am Ortseingang. Auch die Mädels beim Bäcker. Schließlich bin ich ja nicht zum ersten Mal hier. Vor mir ist eine Kundin dran, da kann ich noch ein wenig die Auslage bewundern. Also, die mit den Backwaren, nicht die der Kundin...

Nach mir kommt jemand herein, die Verkäuferin ist gerade fertig, sofort fängt die neu angekommene an, aufzuzählen, was sie denn so gerne hätte. Die Verkäuferin nimmt eine Tüte und fängt an, einzupacken. Gut, so klapprig, wie die ist, muss sie schnell bedient werden, sonst packt sie’s möglicherweise nicht mehr nach Hause.

Es gibt Situationen, da reagiere ich einfach irrational, hier packe ich meine beste, am weitesten tragende Bühnenstimme aus und frage ganz trocken: „Geht das hier nach Größe?“. Die Verkäuferin schaut verdutzt über den (Glas-) Tresen, die Nase. Sie hat mich genau hereinkommen sehen, und bekommt prompt einen roten Kopf. Die Kundin, de sie gerade bedient, schaut mich an, als hätte ich eine tote Kröte auf dem Kopf sitzen. Manche lernen es einfach nie. Aber den Spruch, den muss ich mir merken, der zieht.

Zwei Tage später kann ich ihn gleich wieder anbringen. Ich bin bei der Zulassungsstelle, will meine ganzen Umbauten eintragen lassen. Vorher ist mal wieder Parkplatzsuche angesagt. Auf den beiden Behindertenparkplätzen vor der Stadtverwaltung steht ein Auto, aber so, dass beide Plätze blockiert sind. Eine Aufschrift an der Tür weist die Kiste als Vorführwagen des örtlichen Autohändlers aus. Behindertenausweis oder Rollstuhlsymbol? Fehlanzeige! Gegenüber an der Bude, wo es die neuen Kennzeichen gibt, fährt gerade jemand weg. Glück gehabt, weil rechts neben dem Parkplatz so eine Werbe-Klapptafel steht. Da kann ich prima meinen Lift raus fahren. Als sich keine 10 Minuten später mein Lift in Richtung Boden senkt, sehe ich, wie drüben an den Behindertenparkplätzen jemand in die Vorführkiste einsteigt. Noch nicht einmal das kleinste Hinken ist zu sehen. Bis er sich angeschnallt hat und den Zündschlüssel gedreht hat, bin ich da. Mit meiner schönsten und lautesten Bühnenstimme werfe ich ihm ein „Vielen herzlichen Dank für Ihre Rücksichtnahme“ zu. Jede Menge Köpfe drehen sich zu uns herum. Mit hochrotem Kopf taucht er nach unten weg, soweit er kann. Dummerweise muss er sich zum Ausparken umdrehen. Genauso gut könnte er sich eine Leuchtreklame umhängen. Diese Art Werbung hat sich das Autohaus bestimmt nicht gewünscht. Bis er wieder im Büro ist, ist garantiert sein Chef informiert. Auf die örtlichen Tratschtanten ist Verlass, ich habe schließlich lange genug hier gelebt. 

Ein paar Tage später treffe ich einen Bekannten, der bei dem Autohaus arbeitet. Bis der arme Vertreter im Büro war, hatte er mich laut Gerüchteküche bereits beim Ausparken um gefahren. 

Ich liebe das Leben in der Kleinstadt!

Aber noch bin ich ja in der Stadtverwaltung. Ich ziehe mir also ordnungsgemäß eine Nummer und stelle mich an die Seite. Normalerweise müsste ich als übernächster dran kommen. Eine Dame geht zum Schalter, fragt etwas, nickt, geht. Sie kam kurz vor mir rein und hat mir netterweise meine Nummer mit gezogen, weil der Automat für mich natürlich zu hoch hängt. Sie sagt, sie muss noch mal weg, wenn ihre Nummer aufgerufen wird, soll ich mich melden. 

In dem Moment kommt eine Gruppe aufgeregter Menschen herein und stürzt direkt zum nächsten Schalter. Ich verstehe, dass sie ein Auto zulassen und eines abmelden möchten. Scheint das erste Mal zu sein, dass die keinen Zulassungsdienst beauftragen. Einer hat die Kennzeichen des alten Autos – Ziemlich verbogen. Entweder das Auto sieht entsprechend aus, oder die haben nicht geschnallt, dass man Nummernschilder auch abschrauben kann. Der nächste hat einen Packen Papiere in der Hand, das scheinen die vom neuen Auto zu sein. Der dritte hält sich verkrampft an einer Tasche fest. Der hat bestimmt das Geld. Ja und ein Junge ist dabei, der die ganze Zeit redet. Als die anderen ihn ansprechen merke ich, aha, das ist der, der deutsch kann. Die Dame am Schalter hört der aufgeregten Diskussion eine Weile zu. Dann meint sie: „OK, dann ziehen Sie mal eine Wartemarke, warten, bis sie aufgerufen werden und dann klären wir das.“ Der Geldmann ist vollkommen von den Socken. Ich muss seine Spreche nicht verstehen, seine ganze Haltung drückt aus, dass er sich doch jetzt bis nach vorne gearbeitet hat und gar nicht versteht, warum er jetzt zurück in die Schlange, quasi zum Pöbel muss. Das ist sowieso lustig: Sobald jemand aus einer Warteschlange zum Objekt seiner Begierde aufrückt, meistens ist es ein Bank-, Post-, oder anderer Schalter, fühlt er sich irgendwie geadelt. Er gehört nicht mehr zur wartenden Masse, er hat eine Stimme bekommen. Und wenn er dann zurück in den Sumpf muss, oh je. Es ist zum Totlachen, da kann man wirklich die schönsten Studien treiben. 

Jedenfalls leuchtet an der Anzeigentafel die Nummer vor mir auf. Ich rolle los, Platz 3, das ist ein Schreibtisch in dem Büro hinter den Schaltern. Ätsch, da sitzt schon wer. So einer mit der Hose an den Knien und einer Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf – voll der Checker, ey. Wer lesen kann, ist hier im Nachteil. Euch geb' ich!

“Geht das hier nach Größe?“ Schön, wenn man seine Stimme dazu bringen kann, etwas weiter zu tragen. Ziemlich viele Köpfe schwenken herum. Ich halte meine (geliehene) Nummer hoch. „Wo darf ich mich denn bitte melden?“ Die Dame, die sich gerade noch um die aufgeregten Südländer gekümmert hat, reagiert sofort. „Kommen Sie doch bitte hier herüber“ und hat schon den Stuhl vor ihrem Schreibtisch verschwinden lassen, damit ich davor rollen kann. Was ich nicht sehe, ist das Rohr, das ihre Tischplatte hält. Mein Knie findet es sofort und ich stoppe abrupt. Was für ein Glück, dass ich das nicht spüre, das ist morgen bestimmt wieder blitzeblau. Mit einem strahlenden Lächeln reibe ich heimlich mein Knie und reiche ich ihr meine Wartemarke, gefolgt von einem Stoß Papiere. KFZ-Brief, KFZ-Schein mit dem frischen Stempel vom Finanzamt, TÜV-Gutachten, Betriebserlaubnis, Bedienungsanleitungen. Was ich zu den Einbauten gefunden habe, alles ordentlich in eine Klarsichthülle gepackt, reiche ich herüber, besser zu viel, als das irgend etwas fehlt. 

Als erstes schaut sie bedauernd den Kfz-Schein an. Für die Einträge bekomme ich einen neuen, da steht dann alles drauf. Nur der schöne Stempel mit der Steuerbefreiung, der ist da natürlich dann nicht mehr drauf. Aber damit kann ich leben, dafür hab ich ja noch den Steuerbescheid. Sie macht mir eine Kopie vom alten Schein und dann geht es richtig schnell. Sie tippt alles in den Computer ein. Als erstes läuft mal die Gebührenrechnung raus, mit der rolle ich zur Kasse, bezahle und kann dann am Schalter meinen neuen KFZ-Schein abholen, der jetzt 2 Blätter hat, auf eins ging das alles nicht drauf. Ich freue mich schon auf das Gesicht des Polizisten bei der nächsten Kontrolle – hihi. Den neuen Schein werde ich demnächst ans Finanzamt schicken, damit wieder ein frischer Stempel drauf kommt.

Am darauf folgenden Wochenende ist Kirmes oder Kerwe, wie man hier sagt. Am Bratwurststand kann ich es mal wieder probieren. Ich will gerade dem Menschen hinter der Theke meine Bestellung aufgeben, als eine ziemlich aufgebrezelte Dame sich direkt neben mich stellt. Sie hätte gerne das Steak dort vorne – genau das, das ich mir ausgesucht hatte - aber bitte die Zwiebeln nicht so dunkel und das Fett möge man doch abschneiden. 

„Hallo, geht das hier nach Größe?“

Funktioniert prima.