Kleine Begebenheiten am Rande

Manche Fußgänger erwarten geradezu von Rollstuhlfahrern, dass sie auch einen an der Waffel haben. Ab und zu stelle ich mich an eine Bushaltestelle, kommentarlos, ohne ein Wort. Irgendwann kommt jemand vorbei, der diesen mitleidigen, leicht angeekelten Blick drauf hat – Rollstuhlfahrer wissen, was ich meine. Ich lasse mich dann in meinem Rollstuhl leicht auf die Seite kippen, wedele mit den Armen und trompete ein fröhliches „Bus faaahn“ heraus. Ich weiß, das ist politisch nicht ganz korrekt, aber die Reaktionen sind einfach herrlich...


Meine liebste Haushaltsführerin und ich sind im Einkaufszentrum. Es ist ein schöner Spätsommertag mit ca. 24° Außentemperatur. Während sie einen weiteren Einkaufswagen in den Kofferraum umlädt, fällt mir der Softeis-Stand auf der anderen Straßenseite auf. Ich rolle also rüber, „Zwei mal Vanille, bitte.“ „Gerne“ - und schon habe ich in jeder Hand eine Eistüte. 

Im Rollstuhl ein echter Brüller...


“Nehmen Sie schon mal Platz, der Chef kommt gleich.” 


Ich habe 2 Füße meines Bogenständers verschusselt und von einer Vereinskameradin fürs letzte Turnier welche geliehen bekommen. Wochen später werden meiner Tochter im Sportunterricht ihre Schuhe gestohlen und ich nehme das zum Anlass, mir in meinem Blog in meiner Internet-Community meine Gedanken über die Welt zu machen, wie ich das so gerne tue. Zwei Vorgänge also, die absolut nichts miteinander zu tun haben.

Der Freund meiner Vereinskameradin, ebenfalls ein Bogenschütze, liest die Schuhgeschichte in meinem Internet-Blog und mailt mich an, ich solle doch einmal bei meiner Hausratversicherung nachfragen, die zahlt so etwas. Als ich mich für den Tipp bedanken will, fällt mir ein, dass ich noch die Bogenständerfüße seiner Freundin habe – meine sind inzwischen wieder aufgetaucht. Ich maile also meinem Vereinskameraden zurück, Dankeschön für den Rat. Á propos Schuhe, bitte sage doch Deiner Freundin, dass ich in einer Ritze unserer Besuchercouch ihre Füße gefunden habe.

Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehe.


Beim Fahrradhändler, der mir mal wieder was an meinem Rollstuhl richten muss, treffe ich ein kleines Mädchen, die noch nicht lange aus dem Kindergarten raus sein kann. Sie ist ganz fasziniert von meinem Rollstuhl und ich muss ihr alles ganz genau erklären. Die Art, wie unbefangen die Kleinen mit der Thematik Behinderung umgehen, sobald das Eis erst mal gebrochen ist, beeindruckt mich immer wieder. Nachdem sie den Faltmechanismus meiner Chaise genau inspiziert hat, schaut sie mich mit diesem wissenden Blick an. So von schräg unten. Dieser Blick den nur die Kinder haben, diesem Blick, der die innere Harmonie, das tiefe Verständnis für ihr ganzes kleines Universum ausdrückt.
„Weißt Du eigentlich, was eine Schnecke sagt, die auf einer Schildkröte sitzt?“
„Nee, was sagt sie denn?“

„Huiii!“  


Dauernd fehlt genau das Fachbuch, das man braucht, in unserem Schrank. Früher, als wir noch eine Hand voll Trainer waren, da war das einfacher. „Heh, wie lange brauchst Du denn das TCP/IP-Buch noch?“ „Bis Freitag“ oder „Kannst Du haben“ und die Sache war geklärt. Jetzt sind wir ein paar mehr und so auf Zuruf funktioniert das einfach nicht mehr. Ein Kollege hat sich eine Entnahmeliste für die Fachbücher ausgedacht, gedruckt und in den Schrank gelegt. An sich eine prima Idee – für jeden, der größer als 1,20 ist. Wenn ich eine Klarsichtmappe an die Schranktür kleben würde, in die man die Liste tut, dann käme ich auch dran und sie würde jedem beim Öffnen des Schranks sofort ins Auge springen.

Gesagt, getan, ich hole mir im Sekretariat den Klebefilm-Abroller und mache mich ans Werk. Also – mit einer Hand die Tür festhalten, mit einer Hand die Klarsichtmappe fixieren, dann den Abroller... Mist, eine Hand zu wenig. 

„Ja, genau so hab ich mir das vorgestellt.“ Unsere Azubine steht in der Tür. Die sieht nicht nur gut aus, die denkt auch mit. „Wart', ich helf' Dir.“ Und schnappt sich den Abroller. Ich halte die Mappe an die Schranktür, während sie mit dem Klebefilm zügig den Rand der Mappe entlang fährt. Dabei muss sie sich zwangsläufig über mich lehnen...

Für einen Moment bin ich abgelenkt, während der Klebefilmabroller sich unaufhaltsam meiner Hand nähert. Schon schallt ein energisches „Finger weg,“ aus dem offenen Büro. Auf dem Gang sinkt schlagartig der Geräuschpegel. „Ja, da ist besser – jetzt da – so ist gut!“ Draußen ist inzwischen jegliches Geräusch erstorben. Wir bewundern unser Werk und beglückwünschen uns zu dieser tollen Leistung, albern einfach noch ein bisschen herum. Dann geht’s wieder an die Arbeit. In der Tür dreht sie sich noch mal zu mir um: „Das war doch mal gut.“

Tja, nicht immer ist es das, wonach es sich anhört. Leider. Oder zum Glück? Kommt drauf an, wen man fragt, Kopf oder Bauch...