Rückblende

Vor Jahren gab es einmal eine Fernsehserie, das A-Team. Vier Vietnam-Veteranen, die zu Unrecht irgend einer schlimmen Geschichte beschuldigt wurden, halfen, obwohl sie als Deserteure gejagt wurden, auf ziemlich spektakuläre Weise anderen aus diversen Klemmen. Eins der Highlights dabei war das Auto von B. A. Barracus, gespielt von dem Wrestler Mr.T. Ein GMC-Vandura, schwarz mit roten, nach vorne spitz zulaufenden Streifen. Das wäre schon eine heiße Sache gewesen, aber ein Karbon-Verbund-Aufbau auf einem Mercedes Vito-Chassis kommt dem schon recht nahe. Schwarz mit den typischen roten Streifen. Hinten hat er einen Lift eingebaut, der meinen Rollstuhl in die Kabine hebt, in der Seitentür eine Klappe, die ziemlich schnell ausgeklappt werden kann. Es ist immer doof, wenn man endlich einen Parkplatz gefunden hat und dann nicht aus dem Auto raus kommt. In den Seitenwänden ist mein kleines Computerlabor untergebracht. Der Bordcomputer ist inzwischen auch nicht mehr ganz original. Nachdem wir festgestellt hatten, dass die Sprachsteuerung vom Rollstuhl eine ziemlich einfach zu realisierende Geschichte ist, haben wir ins Auto auch ein klein wenig Programmierarbeit gesteckt. Glücklicherweise gibt es von verschiedenen Herstellern schon Sprachsteuerungen für Behinderte, da konnten wir uns so einiges abschauen. Normalerweise hat man einen Autoschlüssel mit Funksteuerung für die Zentralverriegelung und die Fenster. Dann haben der Lifter, die Standheizung und noch ein paar andere Zubehörteile jeweils eine eigene Fernbedienung. Anfangs habe ich mir die alle mit Schlüsselbändern umgehängt. Sah aus, wie ein Faschingsprinz. Die ganzen Frequenzen und Codes herauszufinden, war für Steffen keine große Sache, reine Fleißaufgabe. Jetzt macht Elsbeth das für mich und ich habe wieder die Hände frei.

Mit dem Rollstuhl rolle ich direkt hinter das Lenkrad. Die Elektronik merkt, wenn ich in Reichweite bin, zieht den Rollstuhl in Parkposition und verriegelt ihn. Dabei legt sich der Sicherheitsgurt um mich und hakt ein. Gleichzeitig fährt der Lift ein und die Hecktür schließt sich. Ein Druck auf den Starter und der 8 Zylinder Turbodiesel lässt ein wohliges Brummen hören.

Wie ich das Ganze finanziert habe? Der Basisumbau war eine Wiederein-gliederungshilfe, wie es in Amtsdeutsch so schön heißt. Und so, wie ich in unserer Einheit der Computerspezialist war, hatten wir auch einen Autoschrauber. Bernd, aus dessen Sig-Sauer die 9 mm Blei kamen, die mein Leben so drastisch veränderten. Es war ein Unfall, für einen Querschläger kann kein Mensch etwas. Die Kollegen haben es ihm gesagt, unsere Psychologin Nina unterhält sich regelmäßig mit ihm. Ich habe ihm gesagt, ich muss ihm nicht verzeihen, es war ein Unfall, es gibt nichts zu verzeihen. An guten Tagen glaube ich das sogar selbst. Aber Bernd besteht darauf. Alles was er so in die Finger bekommt, ich habe es als Erstes verbaut.

Inzwischen haben wir ein ganz merkwürdiges Verhältnis. Im Einsatz, da musste sich jeder blind auf den anderen verlassen können, das haben wir trainiert, immer wieder - und immer wieder neue Szenarien. Aber jede Eventualität kann man einfach nicht trainieren. Aus dem Polizeidienst musste ich damals ausscheiden. Jetzt werde ich als ziviler Berater immer dann angefordert, wenn es irgendwie mit Computern zu tun hat. Wobei, manche Kollegen haben immer noch Berührungsängste. Kann ich aber auch verstehen. In den Medien werden wir immer als seelenlose Kampfmaschinen dargestellt, die mit bloßen Händen töten können. Das mit den bloßen Händen, das ist schon richtig. Aber keiner von uns ist stolz auf dieses Wissen. Ich höre noch unseren koreanischen Ausbilder. „Der beste Kämpfer“, sagte er immer, „Der beste Kämpfer ist der, der nicht kämpft.“ Die meisten meiner Kollegen sind sogar ziemliche Sensibelchen. Wir haben gelernt, dass man einfach manchmal Gewalt anwenden muss, auch wenn man sie verabscheut. Gewalt ist immer das letzte Mittel. Aber wenn man sie anwenden muss, dann blitzschnell, und mit aller Härte. Unnötig würde keiner von uns jemanden schaden.

Wenn ich heute in seine Bastelbude komme, wie er seine Werkstatt nennt, ist es fast, wie früher. Nur seine Augen, in Momenten, in denen er sich unbeobachtet glaubt, die folgen mir mit diesem Ausdruck, als wollte er sagen, wenn du wüsstest. Die 3 Gs, die hat man uns immer wieder eingebläut, geladen, gespannt und gesichert. Ja, er hatte seine Waffe entsichert gehabt. Natürlich hat er sie entsichert. Im Einsatz kann manchmal genau diese Sekunde entscheidend sein. Wie oft bin ich mit gezogener Waffe in ein Haus hinein. Ziehen, entsichern, das ist eine Bewegung, tausendfach geübt. Aber dieser traurige Ausdruck, der wird wohl noch eine ganze Weile in seinen Augen bleiben. Da hat Nina noch jede Menge zu tun.

Hätte Bernd damals einfach drauf gehalten, finaler Rettungsschuss, Lied aus, alle gehen nach Hause, wäre ich möglicherweise heute noch prima zu Fuß. Aber er hat versucht, den Angreifer unblutig zu stoppen. Mit einem tausendfach geübten Griff. Beim 1001. Mal prellte ihm sein Gegner die Waffe aus der Hand. Beim Aufprall löste sich der Schuss. Die Kugel streifte einen Metallträger und blieb in meinem Rücken stecken, was zwei Lendenwirbel dazu brachte, schärfsten Protest einzulegen, indem sie sich in Krümel verwandelten. Dumm gelaufen!

Hinterher hat es sich heraus gestellt, es war ein harmloser Messegast gewesen. Ein mehrfacher Familienvater, der einige Tage Messestress mit ein paar Bierchen weg spülen wollte. Unsere Forensik konnte später eine Substanz in seinem Blut nachweisen, die diese Bewusstseinsveränderung ausgelöst hatte. Plötzlich, vollkommen ohne Vorwarnung, war er auf die anderen Gäste in der Bar losgegangen, mit einer erschreckenden Brutalität. Als die gerufene Streifenwagenbesatzung ihn festnehmen wollte, hatte er einem Beamten die Waffe entrissen und die Bardame als Geisel genommen. Tja, und wir hatten an diesem Abend Bereitschaft. Auch bei der Verhandlung kam nicht heraus, wie und warum er an diese Droge gekommen war. In dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten, selbst ich hätte als Richter so entscheiden müssen. Aber mein Name wurde in der Verhandlung nicht einmal erwähnt.

Zu unserem eigenen Schutz wissen sogar unsere Freunde und Nachbarn nur, dass wir einen total langweiligen Job in irgendeiner Verwaltungsbehörde haben.

Hatten.

Ich jedenfalls hatte.