Der Auftrag

„Tja, Bender, so sieht das aus.“ Das sonst so fröhliche Gesicht meines alten Klassenkameraden zeigt tiefe Sorgenfalten. Für Michael Bergner, den Schatzmeister des Kegelclubs „Alle Neune“ hat mit einem Schlag sein gesamtes Weltbild einen tiefen Riss bekommen. Ich weiß noch, wie glücklich er war, als seine kleine Tanja geboren wurde. Als er dann das kleine Reihenhaus in dem Frankfurter Vorort angeboten bekam, ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Tanja, die nicht lange allein bleiben sollte, konnte in einer Umgebung aufwachsen, die nicht von Autos dominiert wurde. In ein paar Minuten war man zu Fuß im Huthpark. Trotz der fast ländlichen Umgebung war man doch in der Großstadt. Und jetzt? Michael, den ich vor Kurzem noch mit seinen Kindern herum albernd auf der Dippemeß getroffen hatte, war in den paar Wochen um Jahre gealtert.

„Wann hast du eigentlich zum letzten Mal geschlafen?“

„Geschlafe? Isch? Weiß net. Wie kommste dann jetzt da druff? Hallo, mei Tanja spielt in nem Porno mit unn wer weiß, in wie viele noch. Die ist doch erst verzehn.“ Michael, der so stolz auf sein akzentfreies Deutsch war, verfälllt vor Aufregung in die Sprache unserer Kindheit.

„Heh heh, jetz machema halb lang.“ Ich habe für mich ein prima Antidepressivum entdeckt, Gummibärchen. Immer, wenn es mir schlecht geht, wenn ich mich über irgendetwas aufrege, ein paar Gummibärchen und schon sieht die Welt wieder anders aus. Aber hier muss ich stärkere Geschütze auffahren. Michael ist ja überhaupt nicht mehr ansprechbar. Aus dem Geheimfach unterhalb meines Sitzkissens hole ich die viereckige Flasche mit der Notfallmedizin heraus. Don Julio, Direktimport aus Jalisco. Das, was man hier in Deutschland unter der Bezeichnung Tequila verkauft, würde ein Mexikaner höchstens „Mata ratas“, Rattengift nennen.

Michael bekommt große Augen. Tja, in so einen Elektrorollstuhl kann man die tollsten Dinge nachrüsten. Nach dem zweiten Glas ist Michael wenigstens nicht mehr so fahrig und einigermaßen ansprechbar.

„Hast du denn mit Tanja schon gesprochen?“

„Kann ich nicht. Ich kann ihr noch nicht mal in die Augen sehen. Mensch, mei Tanja, die macht doch sowas net!“

Ich hatte bewusst vermieden, die DVD wieder aus dem Player zu nehmen. Mir waren bei dem billig gemachten Filmchen ein paar Dinge aufgefallen. Dazu müsste ich mir aber den Film noch mal genauer anschauen. Bei einer industriell gefertigten CD oder DVD ist nämlich das Presswerk, in dem die Scheibe hergestellt wurde, mit angegeben. Dieses Verfahren ist aber so aufwändig, dass es sich erst bei größeren Auflagen rentiert. Dieser Film wurde vermutlich gebrannt, also mit Laser auf die DVD geschrieben. Auch dabei hinterlässt die Software auf dem Medium bestimmte Spuren. Manchmal ersparen einem diese Spuren einen Haufen Laufarbeit. Na ja, mit Laufarbeit ist es bei mir sowieso nicht weit her.